MENSCHEN WIE DU UND ICH

Text: Dr. Gerti Senger, Kronenzeitung vom 18. April 1999

 

Das 1. Österreichische Interdisziplinäre Symposium "Transsexualität" befaßte sich mit jenen Frauen und Männern, die im falschen Körper geboren wurden und um Verständnis uns soziale Integration ringen

Transsexualität: Biologische Frauen fühlen sich als Männer, biologische Männer als Frauen. Die Öffentlichkeit weiß nicht viel über TransGender oder transidente Menschen. Die bruchstückhaften Informationen stammen aus dem Rotlichtmilieu und aus voyeuristischen Reportagen. Mit diesem schrägen Blick auf einen dramatischen seelischen Konflikt und eine unerträgliche soziale Situation machte jetzt das 1. Österreichische Interdisziplinäre Symposium "Transsexualismus" Schluß. Ziel der zweitägigen Veranstaltung: eine Optimierung der Behandlung, humane, verwaltungstechnische Lösungen, die soziale Integration und Verständnis für diese Menschen.

Transsexualität wird diagnostiziert, wenn eine Frau oder ein Mann mindestens zwei Jahre lang wie ein Mensch des anderen Geschlechts leben, die entsprechende Anerkennung finden und das ursprüngliche Geschlecht an das Wunschgeschlecht hormonell und operativ angleichen lassen will.

Inzwischen geht man mit dem Wunsch nach operativer Angleichung als Kriterium für Transsexualität behutsamer um: Manchen Betroffenen gelingt es, sich als zwittriges Wesen zu begreifen.

Vivian Happenhofer verzichtet auf die geschlechtsangleichende Operation. Die 50jährige Geschäftsführerin kleidet sich als Frau, empfindet wie eine Frau. "Ich nehme meinen Körper als Einheit von weiblich und männlich an", sagt sie.

Der Weg zur weiblichen Identität dauerte Jahrzehnte und kostete Kraft und Gesundheit. Vivian, damals noch Franz, wurde Schlosserlehrling, heiratete, bekam Kinder. Die Seele spielte nicht mehr mit, als die Kinder das Elternhaus verließen: Panikattacken., Tinnitus, Selbstmordgedanken. Vivian Happenhofer hatte Glück: Als sie sich dazu durchrang, als transidenter Mensch zu leben, wandte sich ihre Frau nicht ab. Noch heute leben beide in einer erfüllenden Beziehung. Die Kinder akzeptieren das weibliche Erscheinungsbild ihres biologischen Vaters. Die 3000 Kunden, die Vivian Happenhofer als geschäftsführende Gesellschafterin einer Staplerinstandhaltung über ihren Wandel vom Mann zur Frau schriftlich informierte, reagierten positiv: "Viele haben mir ihre Hochachtung ausgesprochen."

Eine Familie, welche den Geschlechtswandel durchstand und beisammenblieb, ein Betrieb, der ungestört weiterläuft – eine Ausnahme. Von dieser Akzeptanz können andere nur träumen.

Zum Beispiel Andrea, früher Johann, 51, aus Graz. Sie ist seit 1993 operiert, arbeitet als Taxifahrerin: "Es kommt immer wieder vor, daß ein Fahrgast nicht ins Auto steigt, wenn er merkt, was mit mir los ist."

Karin Fickert, 42, früher Harald, ebenfalls operiert, kämpft um die Liebe ihrer beiden Kinder. "Vergangene Weihnachten haben sie das erste mal nicht gesagt "Ich hasse dich". Nach ihrem Wandel vom Mann zur Frau mußte Karin Fickert auch um ihre Wiedereingliederung in den Beruf hart kämpfen." Ich sollte keine Kundenkontakte mehr haben. Das wäre eine gravierende, soziale und finanzielle Zurückstufung gewesen."

Die meisten Transsexuellen wollen ihre "unpassenden Geschlechtsmerkmale loswerden" und den Wandel von einem Geschlecht zum anderen konsequent vollziehen. 130 (in Österreich) Operierte gibt es zurzeit bei uns, etwa gleich viele haben die Operation vor sich. Das Problem der Transsexualität betrifft etwa ein bis zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Die hohe Dunkelziffer läßt Elisabeth Pietsch, die Begründerin der österreichischen TransGender-Szene, aber eher auf einen realen Anteil von drei bis fünf Prozent schließen. Die Ursache der Geschlechtsidentitätsstörung steht nicht fest. Von abgewehrter Homosexualität ist die Rede und von einem Syndrom einer gestörten Geschlechtsrollenfindung. Der international bekannte Psychiater und Transsexualitätsspezialist Friedemann Pfäfflin meinte auf dem Symposium düster: "Ich vermute, die Ursache wird nie gefunden."

Nicht nur das unbeantwortete "Warum?", auch die Diskriminierung durch die Umwelt, Freunde, Kollegen, ja sogar Familie sind schwere Bürden. Trotzdem ist der Wunsch, endlich die/der zu sein, als die/der man sich fühlt, so groß, daß alle Widrigkeiten auf sich genommen werden. Zwei Möglichkeiten stehen offen: Die geschlechtsangleichende Operation mit der damit verbundenen Personenstandsänderung. Oder die Annahme eines geschlechtsneutralen Vornamens (Andrea, Michi, Chris). Voraussetzung ist die Bescheinigung eines/r Psychologen(in) oder Psychotherapeuten(in), der die transsexuelle Erscheinung der Person X bestätigt. Da auf amtlichen Papieren das angeboren Geschlecht ersichtlich wird, kommt es bei dieser Lösung nicht selten zu peinlichen Erklärungsnotständen.

Manchen transidenten Menschen genügt diese "kleine Lösung". Die Mehrheit nimmt die Belastung einer vestümmelnden, geschlechtsangleichenden Operation auf sich.

Dazu gehören eine Hormonbehandlung, 50 Stunden Psychotherapie, Gutachten des gerichtsmedizinischen Institutes und der "Alltagstest".

Dieser Test verlangt, daß ein Jahr lang das neue Geschlecht real gelebt wird. In der Praxis ist der Alltagstest meist schwierig. Wie denn auch nicht, wenn der bekannte Bankbeamte plötzlich mit Perücke und Lippenstift am Schalter sitzt oder der Schlosserlehrling als Mädchen akzeptiert werden soll. Problematisch ist auch die Konsequenz der geschlechtsangleichenden Operation – die gesetzlich notwendige Scheidung, da ja nun beispielsweise zwei Frauen miteinander verheiratet wären.

Auf dem Symposium wurden auch Stimmen darüber laut, daß so manche "in eine Operation getrieben werden", weil die ersehnte Personenstandsänderung nur mit der Operation möglich ist.

Obwohl die geschlechtsangleichenden Operationen den Körper verstümmeln, werden sie von der überwiegenden Mehrheit der Betroffenen als Befreiung erlebt. Bei der Mann-zu-Frau-Operation werden den männlichen Körpern durch hohe Hormongaben weibliche Formen abgerungen. In vielen Sitzungen werden unerwünschte Haare entfernt, aus Penis und Hoden eine Vagina gestaltet. Komplikationen sind nahezu unvermeidbar.

Die Frau-zu-Mann-Operation greift noch brutaler ein: die Gebärmutter und die Brüste werden entfernt. Aus Teilen des Unterarmes oder Unterschenkels wird ein "Penoid" geformt. Da dieses Penoid nicht erektionsfähig ist, wird gegebenenfalls eine Penisprothese eingebaut. Nicht wenige operierte Frauen nehmen auch Stimmbandverkürzungen, Kehlkopfverkleinerungen, Nasenplastiken und Gesichtsliftings auf sich.

Der Traum, eine "richtige" Frau oder ein "richtiger" Mann zu sein, bleibt dennoch ein Mythos: Die sozialen Verstrickungen der Vergangenheit lassen sich nicht abschütteln, die amputierten Brüste oder das künstlich aufgebaute, dyfunktionale Penoid machen noch lange keine biologische eindeutige Frau bzw. keinen biologisch eindeutigen Mann. Es ist nicht Himmel, wenn die betroffenen Frauen und Männer endlich in dem ersehnten Körper leben. Aber es ist auch nicht mehr die Hölle, durch die sie vorher gegangen sind...