Interview Diane Torr

zur Person:
Diane Torr, geboren in Aberdeen, Schottland, lebt seit 20 Jahren in New York. Die Schauspielerin, Performancekünstlerin und Kabarettistin, leitet seit 10 Jahren Drag-King-Workshops in den USA und Europa.

Titel-Vorschlag: Kein lesbisches Monopol

Vorspann-Vorschlag:‘Drag King’ Diane Torr im Gespräch über Workhops zur Verwandlung von Frauen in Männer.

Vom 17. bis 21. März zeigt das “Theater des Augenblicks” die multimediale Performance “TransChance - Gender is (a) perfomance”. Unter der Regie von Jörg Weber und Gülsen Gürses geht es darin um die Infragestellung und Demontage von scheinbar unverrückbar ‘naturgegebenen’ Kategorien, Zuschreibungen, Polaritäten und Hierarchien, am Beispiel von “männlich” und “weiblich”. Neben ‘virtuellen Gästen’ von der Lesben-, Schwulen- und Transgender-Gruppe “Cinsel Haller” aus Istanbul, mit denen in einer vorangehenden Phase des Projekts Videoaufnahmen entstanden, brillieren live und hautnah die beiden Darstellerinnen Anna Dworak und Diane Torr in der schauspielerischen Spezial-Disziplin des verblüffend ‘echten’ Geschlechtswechsels.

Interview:

Frage: Diane, Du unterrichtest Frauen in der Kunst, durch Kleidung, Gestus, Habitus auf der Straße und in Lokalen für Männer gehalten zu werden. Welche Frauen nehmen an Deinen Workshops teil?

Diane: Alle. Es stimmt überhaupt nicht, daß solche Workshops nur für lesbische Frauen interessant sind. Zwar ist es richtig, daß eine ausgeprägte, zahlenmäßig starke Drag King-Kultur in der lesbischen Szene zuhause ist. Entsprechend weniger ist das Phänomen unter heterosexuellen Frauen bekannt. Wie viel aber gerade sie von den Erfahrungen und Erkenntnisprozessen profitieren, sehe ich immer wieder in den Workshops.

Meiner Auffassung nach - und auch die langjährige Erfahrung mit hunderten Schülerinnen bestätigt das -, wohnt dem Drag-King-Erlebnis enorm viel emanzipatorisches, feministisches Potential inne. Das löst bei den Frauen Prozesse und Effekte auf vielen Ebenen aus, wenn sie buchstäblich ‘aus der Haut zu fahren’ dürfen, die weibliche Rolle ablegen, und stattdessen in die mehr oder weniger kulturell für sie ‘verbotene’ Männerrolle hineinschlüpfen.

Da geht es zum Beispiel ganz stark um Räume: sich Raum zu nehmen, sich im Raum bewegen, ohne dafür schief angesehen, angerempelt, in die Schranken gewiesen zu werden. Und dann auch um Blicke …

Was sind die Motive der Teilnehmerinnen? Warum besuchen Frauen Seminare, in denen sie lernen, sich perfekt als Männer zu stylen und zu bewegen, und dann als ‘Herrenrunde’ auszugehen, in Geschäfte, Lokale …?

Da ist in erster Linie einmal viele Schauspielerinnen, für die es Teil ihrer Ausbildung ist. Und darüber hinaus dann: So viele Frauen, so viele Gründe. - Die eine bewundert Männer und möchte sich einem inneren Idealbild annähern; die andere haßt Männer bis zum Erbrechen - was durchaus häufig vorkommt: Und dann bekommt sie durch das Seminar plötzlich einen spielerischen, humorvollen Zugang und in der Folge viel mehr Bewegungsfreiheit und Gelassenheit im Umgang mit Männern. Viele wollen lernen, dem Chef  oder Kollegen die Stirn zu bieten; Männertricks zu durchschauen und zu durchkreuzen. Eine Teilnehmerin hat mir berichtet, daß sie zum Autokauf als Mann ging, und der Verkäufer ihr entgegenkam, wie sie es als Frau noch nie erlebt hatte. Sie konnte den Preis um einen kräftigen Betrag herunterhandeln, wie es ihr als Frau niemals möglich gewesen wäre. Für manche ist es einfach ein Spiel, eine Mutprobe, ein Abenteuer; sie suchen den Kick.

Du hast viele solche Workshops in den USA abgehalten, reist aber auch viel in Europa. Fallen Dir da kulturelle Unterschiede auf?

Doch, schon. Obwohl ich an erster Stelle versucht wäre, zu sagen, die Gemeinsamkeiten überwiegen, sind da sehr wohl sehr deutliche Unterschiede zu bemerken. Zum Beispiel auch in der Motiviertheit der Frauen, sich als Drag King zu versuchen, da unterscheiden sich die nördlichen Länder, Skandinavien, Holland etwa, sehr stark von den südlichen. In Schweden, Norwegen, Dänemark haben die Frauen mittlerweile einen ganz anderen Status errungen als anderswo: Da sitzen 50 Prozent Frauen in den Parlamenten, da sind viele feministische Forderungen Allgemeingut oder auch Gesetz geworden. Diese Frauen finden das weniger spannend. Die haben kaum noch den Eindruck, sich ansonsten unerreichbare Privilegien zu erobern, indem sie in die Rolle eines Mannes einnehmen.

Stellst Du auch Unterschiede zwischen USA und Europa fest?

Die Grundstimmung in meinen europäischen Seminaren ist gewiß anders als die Stimmung, wenn ich solche Kurse in den Vereinigten Staaten halte. In letzter Zeit arbeite ich so oft und gern in Europa, daß ich manchmal daran denke, nach Europa zurückzukommen. Ich stamme ja aus Schottland. New York war sehr wichtig für mich, beruflich und persönlich. Aber ich spüre, daß es mich irgendwie wieder heim zieht.

Was hält Dich noch in New York?

Vor allem meine Tochter. Sie ist jetzt 15. Sie ist in  den Staaten geboren. Sie ist in New York daheim. Sie ist sie alt genug, daß ich wochenlang in Europa unterwegs sein kann. Aber vollständig übersiedeln und sie zurücklassen, das fände ich noch nicht so gut.

Im Rahmen des Theater-Projektes “TransChance” hast du vergangenen Jänner in Istanbul einen Drag-King-Workshop geleitet. War das eine besondere Herausforderung? Hast Du spezielle Erfahrungen mit der türkischen Kultur gemacht?

Sicher. Das, was ich vorhin über Nord-Süd-Unterschiede innerhalb Europas sagte, trifft auch hier zu. Die Frauen, die die Erfahrung der anderen Rolle machten, haben dabei erfahren, was für enorme Privilegien und Freiheiten für Männer in ihrer Umwelt selbstverständlich sind; mit anderen Worten: wie sehr geschlechtshierarchisch die Gesellschaft strukturiert ist. Was mir persönlich aber am stärksten in Erinnerung bleiben wird, ist der Entscheidungsprozeß der Frauen, dieses Experiment überhaupt mitzumachen. Sämtliche Teilnehmerinnen standen der Idee anfangs reserviert gegenüber. Allein schon die Vorstellung, sich als Männer zu verkleiden, sich wie Männer zu verhalten, löste bei vielen unangenehme Gefühle aus. Das Ausmaß an Bewußtheit, Reflexion,  die Sensibilität, Subtilität, mit der sie an die Sache herangingen, und auch als Gruppe diskutierten, ist einmalig. Es war ein ganz besonderes emotionales und kognitives Erlebnis - sehr bereichernd; auch für mich.

Während der Probenzeit für “TransChance” hast Du soeben auch in Wien ein Drag-King-Wochenend-Seminar geleitet. Dein erstes in Wien?

In dieser Form das erste in Wien. Ja.

Wie war’s?

Sehr schön. Ganz besonderen Eindruck hat mir die behinderte Teilnehmerin gemacht. Eine Frau im Rollstuhl. Sie berichtete über himmelhohe Unterschiede. Sie hat auf die ‘Geher’, wie sie die Nichtbehinderten nennt, im Lauf der Jahre schon einen tiefsitzenden Haß entwickelt, als Reaktion auf die ständige Mißachtung und Zurücksetzung. Als Mann unterwegs fühlte sie sich ungleich mehr  beachtet, berücksichtigt und zuvorkommend behandelt. Auch die behinderten Männer, mit denen sie zusammenwohnt, reagiert ganz anders auf sie: offener, zugänglicher, netter. - Im Workshop, schon bevor wir auf die Straße, unter Fremde gingen, war ihr die neue Bewegungsfreude anzusehen: Die Energie, die Kraft, die Lust, mit der sie als Drang King zwischen den anderen Drag Kings herumkurvte war imponierend. Diese Aggressivität, sich fordern trauen, sich Raum erobern, bereit, für seine Rechte zu kämpfen: einfach wundervoll.

Wohin seid Ihr denn  als “Herrenrunde” in Wien ausgegangen?

Wir waren essen; zuerst rustikal in einem echten Wirtshaus, dann gediegen in einem feinen Restaurant. Dann an allerlei anderen Orten: im Cafe Berg, im Cafe Stein, in einer Bar.

Gab es besondere Vorkommnisse?

Nichts weiter aufregendes. - In dieser Bar kam eine Drag Queen rein und hat unser Grüppchen etwas fragend gemustert. Aber angesprochen hat sie uns nicht.

Ich wollte mit der Gruppe ja gern in einen Sexclub gehen. Die zwei lesbischen Teilnehmerinnen sind - quasi als Fleißaufgabe - abends als Duo noch in ein men only Schwulenlokal gegangen. Sie haben mit Bravour bestanden: kamen anstandslos hinein, und die eine von ihnen hätte fast einen schwulen Aufriß gemacht.

Aber mein Vorschlag mit dem Sexclub war der Gesamtgruppe leider doch zu steil. Sie meinten: “Lieber langsam und der Reihe nach. In den Sexclub erst beim nächsten Mal.”

Gibt es denn ein nächstes Mal in Wien?

Ich denke schon. Teilnehmerinnen des jetzigen Workshops haben vor, mich im Herbst wieder nach Wien einzuladen, um noch mehr Drag Kings hier auszubilden.

 Mit Diane Torr sprach Helga Pankratz

(H.Pankratz ist Autorin und Aktivistin der Lesben- und Schwulenbewegung)