zur Verfügung gestellt von der Obdachlosenzeitung AUGUSTIN


Nadja Schallenberg, Transsexuellen-Bürgerrechtlerin


Die Personenstandsrevolution
"Männer sind auch nur Frauen - genauso wie wir alle", brachte es Hollywoods Komiker und Lästermaul, Graucho Marx, auf den Punkt. Der Kopf der Marx-Brothers, der nicht verwandt mit dem bärtigen Bürgerschreck namens Karl ist, war noch nie im Wiener Burgtheater und konnte "Wiener Blut" von Johann Kresnik nicht sehen. Also konnte er - im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Kulturinteressierten - das 24. Bild "Kursbestimmung" im Part "Karrieren III: Heimatgefühle" auch nicht bestaunen.
Drei Monate war Nadja Schallenberg jetzt am Burgtheater engagiert. Zu staunen gab es viel: Nadja mit den Schweinen Nr. 128 und 159 bis 166 aus dem Burgenland. Kurz davor, im 22. Bild, gab es als "Lebenslüge der II. Republik" einen Auftritt in "Labyrinthe der Erinnerung". In einem Käfig mit weissen [Friedens-] Tauben. Bekleidet mit nichts, ausser einer roten Perücke. Und es war nicht zu übersehen: Die engagierte Berliner Transsexuellen-Bürgerrechtlerin hat die "kleine" Lösung - die Änderung des Vornamens - bereits durchgezogen. Die gegengeschlechtliche Hormontherapie zeitigt Erfolge. Die sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale sind ausgeprägt, aber von der angestrebten Genitalgeschlechtsangleichung, wie die "große" Lösung - eine Geschlechtsumwandlung - im Amtsdeutsch heißt, ist sie noch weit entfernt. Obwohl sie sich bereits in der 7. durchstrittenen und durchlittenen Instanz befindet.

Blättern wir zurück. Am gleichen Tag wie Johann Sebastian Bach - dem 21. März - im Jahre 1969 in Berlin-Ost geboren, entdeckt ein heranwachsender Knabe, dass er nicht wie die anderen ist. Er probiert heimlich Mutters Sachen und träumt davon, ein Mädchen zu sein bzw. zu werden. Die Schwester wird ins Vertrauen gezogen und petzt! Es setzt ein Donnerwetter, aber der verhaltensauffällige Teenager lässt sich nicht vom andersgängigen Weg abbringen. Er wird später eine Ausbildung zum Facharbeiter für Agrotechnik machen. "Nach Berliner Schnauze heißt das Stoppelhopser". Der Bruch mit der Familie kommt nach langer Pubertät, die alles noch verschlimmert. Das Coming Out erfolgt im Alter von 20 Jahren, nachdem das eine  Heirat mit Frau und Kind   und das andere  gleichgeschlechtliche Erfahrungen ausprobiert worden war. Der Ehefrau reicht es, sie reicht die Scheidung ein. Trennung nach einem unzufriedenstellenden Jahr der faulen Kompromisse und Selbstmordgefährdung durch Depressionen.

Anlass genug, um die Existenz als Mann zu beenden.
Bereits im Mai 1990 wird Antrag auf Personenstandsänderung in der DDR eingebracht, aber fünf Monate später, am 3. Oktober 1990 gibt es die Deutsche Einheit, und die DDR gibt es nicht mehr. Der Antrag erlischt ebenso wie der Arbeiter- & Bauernstaat. Statt dessen gibt es wenigstens eine Hormonbehandlung, die immer noch das kleinste Übel für Transsexuelle ist, abseits von illegalen Importen vom Pharma-Strich, wo "medizinische" Präparate wie Anabolika, Hormone, Pillen etc. reghaft gehandelt werden. Ärzte verschreiben gerne. Gutachten lassen auf sich warten. Einhergehend mit dem Busen wachsen aber auch die Probleme. Zuerst mustert ihn - auf dem Weg zur sie das Wehrersatzkreisamt von oben bis unten und schlussendlich aus. Wenigs-tens zur Bundeswehr braucht er/sie nicht!
Mit der Hormonbehandlung handelt sich Nadja ziemliche Schwierigkeiten ein. Der noch androgyne Körper wehrt sich gegen die Hormonzufuhren. Deswegen müssen die wichtigsten Männlichkeitsmerkmale die Kronjuwelen, wie es bei James Bond heisst Ð entfernt werden. Anstatt die Kosten für die Keimdrüsenentfernung (Hodenresektion) zu übernehmen, verabreicht die Krankenkasse eine Psychotherapie - wie in solchen Fällen üblich.
Der Gesetzgeber verlangt zuerst einen "All-tagstest": Transsexuelle*) müssen mindestens 3 Jahre in der neuen, angestrebten Identität leben, was aber vom Gesetz her zusätzlich erschwert wird, weil Vornamensänderung oder geschlechtsangleichende Operationen erst nach den gelebten 3 Jahren bewilligt werden. Hauptproblem dabei ist der Job. Oder jeder Grenzübertritt, weil im neuen EU-Pass, im Gegensatz zum Personalausweis, der Sexus vermerkt ist. Außerdem ist eine geschlechtsspezifische Behandlung gesetzlich verankert: Leibesvisitationen, nur von Geschlechtsgenossen, die das mehr oder weniger genießen. Oder - nach einer eventuellen Anhaltung - die Verwahrung im Männergefängnis, das ja bekanntlich nur im Film eine Männerpension ist - aber man/frau ist besser ein Schweiger und hofft nie in so eine Situation zu kommen.
Nach Jahren des Kampfes gegen die Instanzen, um die Anerkennung der eigenen sexuellen Identität, wird die Vornamensänderung bewilligt. Endlich ist Nadja sie selbst. Der erste operative Eingriff kann ebenfalls vollzogen werden. Die zahlreichen Gut- und Schlechtachter lassen sich schön langsam überzeugen: Wer sich im Lauf der langen Zeit sowas antut, meint es ernst! Natürlich muss sicherheitshalber wieder langzeit-psychotherapiert werden. Könnte ja sein, dass Patient an einer Bewusstseinsstörung leidet und alle zum Narren hält.

Zur kleinen Erheiterung wieder eine Definition, diesmal von der WHO: "Transsexualität wird als Krankheit und Geschlechtsidentitätsstörung angesehen und als einzig psychische Krankheit, die durch Operation geheilt werden kann!"
Deutschland ist anders und nennt nur das Verhalten "krankhaft".
Ausserdem hat in jedem forensischen Gutachten zu stehen, dass "das Zugehörigkeitsempfinden des Antragstellers sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird."
Anfallende Kosten tragen natürlich die Antragsteller. Nach der Kastration, wie Nadja es selber nennt, will sie die finale Operation. "Es waren zwei Spermiogramme nötig, obwohl es ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen ist, aber ich tat mein Bestes... und die waren dann auch zufrieden!" Zumindest der Antrag durfte eingebracht werden.
In …sterreich ist es kaum besser, aber man hilft bei der Vor-namensänderung, indem geschlechtsneutrale Taufnamen ermöglicht werden, zB Renee oder Chris.
Bis zur identitätsstiftenden genitalgeschlechtsangleichenden Operation ist es ein langer und breiter Weg. Hat man/frau endlich sämtliche amtlichen Stellen für die Anerkennung der Geschlechtsumwandlung überzeugt, wartet - abgesehen vom medizinischen Risiko - noch die größte Barriere in Form der horrenden Kosten. Die maroden Kassen haben in Zeiten des angesagten Sparkurses eigene Gutachter, die den chirurgischen Eingriff erst einmal bewilligen müssen. Also, zurück zum Start: Auf eigene Faust, pardon Kosten, in die Privatkliniken, die sich auf solche Eingriffe spezialisiert haben. Früher war's Casablanca, und man sagte, dass einer von vier Eingriffen gelang. Männer, die vorher Frauen waren, sollen angeblich orgasmus- wenn auch nicht ejakulationsfähig sein. Beim umgekehrten Fall ist es weitaus schwieriger, etwas außer Frigidität zu erzeugen. Viele Schilderungen sind sehr subjektiv, und Einbildung ist auch eine Bewusstseins-Bildung.
Egal! Alles entscheidend ist die Identität in der Frauenrolle. Von der Mutterrolle ist man sowieso noch medizinische Lichtjahre entfernt.
Mittlerweile gibt es besser ausgerüstete Spezialkliniken in London und Potsdam. So gut und gerne 100.000 Mark oder 50.000 Euro oder mehr als eine halbe Million Schilling müssen auf den Operationstisch geblättert werden, um die Klinik als neuer Mensch verlassen zu können. Das Risiko hat sich vermindert, der Leidensdruck von Menschen, die im "falschen" Körper geboren wurden und damit zu Rande kommen müssen, ist geblieben.
Nadja sieht sich als Vorkämpferin. Seit ihren Anfängen berät sie Gleichgesinnte. Sie hilft gemeinsam mit medizinischem Personal aus der renommierten "Charity-"Klinik von Berlin bei der Aufklärungsarbeit. Im Vorjahr gründete sie die Selbsthilfegruppe "Butterfly" als Begegnungsstätte für lesbisch-transsexuelle & queergestrickte Frauen und macht Politik bei der PDS. Nadja ist für ihren letzten Schritt oder Schnitt noch viel Erfolg zu wünschen und dass die Übung auch gelingen möge. Dass alles so eintritt, wie sie es erhofft. Denn es scheint auch schon so schwer genug, Frau zu sein. Abschließend noch ein Zitat von Emma-Herausgeber und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer: "Die Transsexualität beweist, die Seele ist stärker als der Körper, sie bestimmt die Geschlechtsidentität!"
kawei
*) es wird zwischen "Mann-zu-Frau"- und "Frau-zu-Mann"-Transsexualität unterschieden; ausdrücklich ausgeklammert bleibt das rollenspielmäßige Verhalten von Transvestiten, die mit Cross Dressing oder homosexueller Orientierung das Auslangen finden!