Erstes österreichisches interdisziplinäres Symposium

"TRANSSEXUALISMUS"
26./27. Februar 1999 / AKH Wien

 

 Gedanken über die Arbeitsgruppe

"Wünsche und Erfahrungen Transsexueller"

und dessen Ergebnisse

 

 Von Anita-Daniela Krappel und Michael Wittmann

Einleitende Bemerkungen:

 

Das Thema "TransGender / Transsexualismus" wurde in Österreich viele, viele Jahre unter den Teppich gekehrt. Da es generell tabuisiert wurde, gelang es nicht vielen, sich durch den Dschungel an Unwissenheit und Behörden-Wirrwarr zu kämpfen. Auch für die meisten Ärzt/innen, aber auch Psychotherapeut/innen, Psycholog/innen und Psychiater/innen war das Thema Neuland.

Zu Beginn der 90er Jahre kam es dann zu ersten organisierten Zusammenkünften Betroffener, woraus sich Selbsthilfegruppen und Vereine bildeten. Diese Treffen wurden dann auch bald von Menschen besucht, die an dem Thema interessiert waren, sei es aus beruflichem Interesse (Student/innen), sei es als Angehörige oder Freund/innen.

Durch Etablierung von Mike’s erster "Handy-Hotline" kam es zur österreichweiten Vernetzung und einem intensiven Besuchsaustausch mit den Bundesländern. Der damit verbundene Informationsaustausch brachte sehr deutlich zutage, wo der Schuh drückte: Die Schwierigkeit, geeignete Therapeut/innen und in Folge Chirurg/innen etc. zu finden und auch das Problem der Epilation in den Griff zu bekommen. Durch Mike’s Eigeninitiative kam der Kontakt mit DSA Elisabeth Vlasich (Psychotherapeutin / Supervisorin) zustande, die dann auch Vorsitzende des vom Österr. Bundesverband für Psychotherapie gegründeten "Arbeitskreises Transsexualität" wurde. Gleichzeitig hat er Gesprächskontakte zu Frau Dr. Elisabeth Friedrich (Institut für gerichtliche Medizin der Universität Wien) sowie Frau Mag. Helga Wagner (Innenministerium) aufgebaut. In zahlreichen Einzelgesprächen konnte damit den entscheidenden offiziellen Stellen die TransGender-Problematik nähergebracht und verdeutlicht werden. Erste sichtbare Ergebnisse sind die Vornamens-Regelung, die raschere Abwicklung von Behördenwegen und auch die Abhaltung dieses Symposiums, respektive überhaupt die Möglichkeit für Betroffene, daran teilzunehmen!

 

Arbeitsgruppe "Wünsche und Erfahrungen Transsexueller"

Samstag, 27. Februar 1999; 14–16 Uhr; AKH Wien

Leitung: Michael Wittmann, Anita-Daniela Krappel

52 Teilnehmer/innen

Die Teilnehmer/innen an der Arbeitsgruppe "Wünsche und Erfahrungen Transsexueller" hatten sich die Aufgabe gestellt, möglichst viele Bereiche des Weges von TransGender-Personen zu beleuchten, den Status Quo festzustellen und herauszuarbeiten, welcher Handlungsbedarf in welchen Bereichen und Situationen besteht.

 

Alltagstest

Der Alltagstest stellt eine der wichtigsten Stationen im Leben von TransGender-Personen dar. Er bietet den betroffenen Menschen die Möglichkeit herauszufinden, ob und wie sie ihr Leben in ihrer neuen Identität gestalten wollen.

Die Begleitumstände werden jedoch von fast allen als untauglich und belastend angesehen. In der Regel stimmen die betreffenden Ausweispapiere in keiner Weise mit der tatsächlichen Identität der Menschen überein (Aussehen, Vorname, Geschlecht). Es besteht keinerlei rechtliche Unterstützung dieser neuen Identität. Das "Formblatt zur Bestätigung der Transsexualität", das auf Wunsch ausgestellt wird und bescheinigt, daß "das äußere Erscheinungsbild der Person aufgrund einer Krankheitsdiagnose bzw. einer Krankheit und deren Behandlung den in den Dokumenten angeführten Angaben über Geschlecht bzw. den ersten Vornamen nicht entsprechen kann", mag möglicherweise bei Führerscheinkontrollen und Behördenkontakten helfen. In fast allen anderen Fällen, wo Ausweisleistung verlangt wird (Post, Bank, Anmelden eines Handy-Telefons in einem Fachgeschäft, ...) löst es beim (normalerweise juristisch ungeschulten) Gegenüber unverständliches Kopfschütteln aus und bringt die Betroffenen in Situationen, die als unangenehm und zutiefst diskriminierend empfunden werden.

Es wurde daher die Forderung nach sofortiger Ausstellung von Ausweispapieren erhoben, die eine Absolvierung des Alltagstests in einer auch juristisch unmißverständlich dokumentierten Form ermöglicht.

Anmerkung der Autor/in:

Die Forderung muß lauten: "Auf Wunsch hat bei Vorliegen der Diagnose ‚TransGender‘– auch ohne geschlechtsanpassende Operation – die Namens- und Personenstandsänderung mit SOFORTIGER Ausstellung der neuen Papiere zu erfolgen".

– Es besteht zwar aufgrund des "Transsexuellen-Erlasses" des Bundesministeriums für Inneres (Zl: 36.250/66-IV/4/96 vom 27.11.1996) jederzeit die Möglichkeit der Vornamensänderung in einen "geschlechtsneutralen Vornamen" (§ 3.2). Dies wird aber von vielen Betroffenen nicht gewünscht. Der Wunschname steht meist schon lange vor dem Entschluß zur Operation fest und das Führen dieses Wunschnamens stellt ein starkes Identifikationsmerkmal mit der gelebten Identität dar.

– Sowohl der neue EU-Reisepaß, als auch der Personalausweis tragen den Vermerk des juristischen Geschlechts. Dies ist für all jene eine Belastung, die sich nicht (oder noch nicht) für die Operation entschieden haben. Von österreichischer Seite bestehen keinerlei Möglichkeiten, legistisch darauf Einfluß zu nehmen. Eine Klärung (d.h. Abschaffung dieses Vermerks) wäre wahrscheinlich nur durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu erreichen.

 

Behördliche Urkunden:

Auch bei erfolgter Personenstandsänderung ist aus einigen behördlichen Urkunden das Ursprungsgeschlecht erkennbar (Heiratsurkunde, Scheidungsurkunde). Da es Fälle gibt, wo diese Schriftstücke auch weiterhin vorgelegt werden müssen, kommt es hierdurch oft zu einem ungewollten Outing. Frau Mag. Wagner (Innenministerium), die in der Arbeitsgruppe anwesend war, berichtete, daß auf Wunsch eine bloße Bestätigung an Stelle der betreffenden Urkunde ausgestellt werden kann, woraus das "Vorleben" der Person nicht erkennbar ist.

 

Ehe

Aufgrund des bereits oben zitierten "Transsexuellen-Erlasses" wird die Personenstandsänderung (Eintragung im Geburtenbuch) nur dann durchgeführt, wenn die/der Antragsteller/in nicht verheiratet ist. Das heißt, daß eine eventuell bestehende Ehe zuerst geschieden werden muß.

Es treten dadurch oft Konstellationen ein, die von allen Beteiligten gar nicht gewünscht werden, abgesehen davon, daß es – unter anderem – große Auswirkungen bezüglich der Sozial- und Pensionsversicherung oder im Erbrecht hat.

Lösungsvorschlag: Auf Wunsch muß eine bestehende Ehe ohne Rechtsverlust nahtlos in eine – in Österreich noch zu installierende – eingetragene Partner/innenschaft übergehen.

Daneben muß es eine Sonderregelung im Eherecht geben, aufgrund der TransGenderism von den Gerichten nicht als schuldhaftes Verhalten im Fall einer nichteinvernehmlichen Scheidung gewertet werden darf und dadurch kein Verlust von Ansprüchen aus der Sozial- und Pensionsversicherung eintritt.

 

Kinder – Besuchsrecht

Große Betroffenheit herrscht über den Umgang der Pflegschafts-Gerichte mit dem Besuchsrecht. Diese favorisieren in ihrer Unsicherheit eher die Aussetzung des Besuchsrechts bzw. schreiben Regelungen vor, die absolut inakzeptabel sind. Bekannt ist der Fall, in dem vom Kindesvater – jetzt Frau – verlangt wird, die Kinder ausschließlich in männlichem Outfit zu besuchen!

Daß es auch anders geht, bewies erst kürzlich eine Entscheidung des BG Villach. Trotz Scheidung wegen Personenstandsänderung wurde beiden Elternteilen – nunmehr zwei Frauen – gemeinsam das Sorgerecht für ihre Tochter übertragen.

Anmerkung der Autor/in:

Als Begründung für seine Entscheidung hatte das BG Villach folgendes angeführt: "Das Wesen einer Familie wird weniger durch Sexualität, als durch die geistige Verbundenheit und die gegenseitige Lebensverantwortung bestimmt. Die Stabilität der Elternbeziehung ist für die gemeinsame Obsorge entscheidender als die nunmehr fehlende Gegengeschlechtlichkeit der Elternteile."

Die Teilnehmer/innen an der Arbeitsgruppe kamen zu der Überzeugung, daß Lösungen nur durch eine intensive Aufklärungsarbeit durch fachlich qualifizierte Personen erreicht werden können und zwar sowohl bei den Ehepartner/innen, als auch bei Gerichten und Behörden.

 

Aufklärungsarbeit

Um eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit und damit langfristig Akzeptanz der TransGender-Problematik zu erreichen, sollte dieses Thema möglichst früh in die Lehrpläne der Schulen (Biologie, Psychologie) aufgenommen werden.

Anmerkung der Autor/in:

Auch in manch anderen beruflichen Aus- und Weiterbildungen scheint das TransGender-Thema zu kurz zu kommen (Medizin, Psychologie, Psychotherapie, Krankenpflege, öffentlicher Dienst, ...). Auch hier wäre es wünschenswert, die Betreffenden im Umgang mit TransGender-Personen zu schulen.

 

Arbeitsrecht

Von einer Teilnehmer/in der Arbeitsgruppe wurde vorgeschlagen, einen Kündigungsschutz für TransGender-Personen bei deren Outing zu verankern. Die folgende Diskussion ergab, daß ein totaler Kündigungsschutz nicht vorteilhaft ist, da kein Betrieb mehr freiwillig eine TransGender-Person beschäftigen würde (vgl. die Situation der Beschäftigung von Behinderten).

Angeregt wurde ein zeitlich begrenzter Kündigungsschutz (1 Jahr). Dies würde allen Beteiligten die Möglichkeit geben, genug Zeit zu haben, um sich auf die neue Situation einzustellen.

 

Verhältnis zu den Krankenkassen

Was die Krankenkassen betrifft, gibt es zahlreiche Punkte, mit denen die meisten Betroffenen durchaus zufrieden sind. Was allerdings von sehr vielen als Rechtsunsicherheit empfunden wird, ist die unterschiedliche Handhabung der einzelnen Krankenkassen vor allem bezüglich der Sekundärleistungen. Hier kommt es dazu, daß über Bezahlen oder Nicht-Bezahlen durch die Krankenkasse sehr oft das Verhandlungsgeschick der/des einzelnen entscheidet. Hauptstreitpunkt ist die Epilation, aber auch freiwillige postoperative psychotherapeutische Begleitmaßnahmen (Probleme bei Kindern, Partnerschaft).

Forderung: Für eine bestimmte Diagnose (in unserem Fall "TransGender") muß es einheitlich ganz bestimmte Sachleistungen seitens der Krankenkassen geben.

Anmerkung der Autor/in:

Es gibt noch eine Reihe anderer Sachleistungen, die von den Krankenkassen nicht oder nur zum Teil bezahlt werden, die im Leben von Betroffenen jedoch eine bedeutende Rolle spielen, ohne daß man sie als "Spleen" bezeichnen darf:

Pro Jahr wird z.B. von den Krankenkassen 1 Perücke bezahlt. Alle Mann zu Frau-TransGender, die davon betroffen sind, wissen, daß man mit einer wahrscheinlich kein ganzes Jahr auskommt, will man die letzten paar Monate nicht wie ein gerupfter Pudel herumlaufen.

Und im Leben von Frau zu Mann-TransGender, die sich dem derzeit ziemlich unbefriedigenden Penoid-Aufbau nicht unterzogen haben, gibt es oft Situationen, wo der Wunsch nach etwas Männlichkeit zwischen den Beinen auch im Alltagsleben wach wird. Nun ist es nicht jedermanns Sache, sich Socken in die Badehose zu stopfen. Die Recherche bezüglich eines brauchbaren und erschwinglichen Penoid-Ersatzes im Bereich Sex-Toys waren wenig erfolgreich, da die dort angebotenen Stücke ja für einen etwas anderen Verwendungszweck bestimmt sind. Allerdings gibt es brauchbaren Penoid-Ersatz von einer holländischen und einer australischen Firma – allerdings zu einem Preis, der das Budget vieler Betroffener übersteigt. Auch hier wäre Unterstützung durch die Krankenkasse notwendig.

Probleme gibt es auch bei der Kostenübernahme durch die Krankenkasse, wenn die Operation in einer Privatklinik erfolgt (egal ob in Österreich oder im EU-Inland), da diese in der Regel nicht Vertragspartner ist. Nun gibt es aber Privatkliniken in der EU, die man durchaus als auf diesem Gebiet spezialisiert ansehen kann. Auch hier sollte es zu einer befriedigenden Regelung kommen.

 

Individualität, Angebot und bürokratische Hindernisse

Als einer der wichtigsten Faktoren auf dem Weg von TransGender-Personen wurde von den Teilnehmer/innen der Arbeitsgruppe die individuelle Betrachtung jedes einzelnen Falles gesehen. Dies betrifft sowohl den medizinischen Bereich (Hormontherapie) als auch die psychotherapeutische Begleitung. Eine Festschreibung einer bestimmten Anzahl von Therapiestunden erweist sich als absolut unsinnig, da jede/r Betroffene in einem anderen Entwicklungsstadium die Entscheidung pro Operation trifft. Manche leben bereits jahrelang in ihrem Identifikationsgeschlecht, bevor sie sich entscheiden, diesen Eingriff durchführen zu lassen. Daß hier kein Alltagstest von einem Jahr mit mindestens 50 Stunden begleitender Therapie notwendig ist, werden alle einsehen, die mit dem Thema vertraut sind.

Die Teilnehmer/innen der Arbeitsgruppe waren sich außerdem darüber einig, daß es nur von Vorteil sein kann, wenn das "Angebot" vergrößert und dezentralisiert wird. Das heißt mehr Therapeut/innen, mehr Hormonspezialist/innen, mehr Chirurg/innen. Betroffene aus den Bundesländern sollten die Möglichkeit haben, alles in ihrer Umgebung absolvieren zu können. Es sollte nicht sein, daß sie extra nach Wien fahren müssen, um bestimmte Dinge auf ihrem TransGender-Weg erledigen zu können (Gutachten).

Keine einheitliche Meinung herrschte über die Sinnhaftigkeit des Indikationsschreibens und des abschließenden Gutachtens. Manche fanden die gängige Praxis akzeptabel, manche meinten, es müsse reichen, die entsprechenden Fachgutachten vorzulegen, ohne nochmalige Überprüfung durch die Gerichtsmedizin Wien.

Einigkeit herrschte darüber, daß die Kosten für das gerichtsmedizinische Gutachten nicht den Betroffenen angelastet werden dürfen. Zumal die entsprechende Regelung im bereits zitierten "Transsexuellen-Erlaß" eine Kann-Bestimmung darstellt und es ja bereits Fälle gab, wo die Betroffenen diese Kosten nicht zu tragen hatten.

 

"TransGender" – "Transsexuell"

Anmerkung der Autor/in:

In jüngster Zeit fällt auf, daß der Begriff "Transsexuell" immer mehr vom Begriff "TransGender" abgelöst wird. Früher hat man als "transsexuell" ausschließlich jene Menschen bezeichnet, die sich für die Operation entschieden hatten und alle anderen dem Phänomen "Transvestitismus" zugeschrieben. Heute weiß man, daß auch in diesen Bereichen die Welt nicht schwarz-weiß, sondern bunt ist. Es wird immer Menschen geben, für die die geschlechtsanpassende Operation den einzigen Ausweg aus ihrem seelischen Dilemma darstellt. Es gibt aber viele – und diese Entwicklung wird auch durch den Zeitgeist begünstigt – die in ihrem Identifikationsgeschlecht leben möchten, ohne die Risken einer Operation auf sich nehmen zu wollen – oder zu können. Auch diesen Menschen gegenüber hat der Staat die Verpflichtung, ihnen ihr Leben so zu ermöglichen, wie sie es sich vorstellen, ohne sie durch formaljuristische Vorschriften in eine Operation zu treiben, die sie gar nicht wollen!

 

Michael Wittmann
Mike’s Transfer Österreich – Transsexuellenberatung
Telefon (+43) 0676 – 322 79 60; e-mail: mikes-transfer@gmx.net

Anita-Daniela Krappel
Arbeitsgemeinschaft & Informationsdienst für alternative Lebensweise
A-1127 Wien, Postfach 31; Telefon (+43) 0676 – 363 26 03; e-mail: adk@gmx.net