4 Transgender.at Wochenende & 320 Jahre Transgenderhatz

Nach dem schönen Erfolg des 1. Transgender.at Ferienwochenendes in Cres gab es wieder ein klassisches Transgender.at Community Wochenende - das im wesentlichen die Programmpunkte der umfangreichen Aktionswoche von TransX, 320 Jahre Transgenderhatz umfasste.

Vor 320 Jahren wurde in Wien während der zweiten Wiener Türkenbelagerung eine Transgenderperson unschuldig gelyncht und öffentlich gehäutet. Bis heute fallen TransGender-Personen Gewalttaten zum Opfer - TransX wollte gemeinsam mit zahlreichen unterstützenden Organisationen in dieser Aktionswoche einerseits dessen gedenken, andererseits aber auch feiern und positiv in die Zukunft blicken.


14. Juli 1683
Es geschah am 14. Juli 1683, dem ersten Tag der Zweiten Wiener Türkenbelagerung. Die Stadt war eingekesselt, das Schottenkloster nahe der Stadtmauer stand in Flammen. Der Brand griff auf das Zeughaus am Hof, das Waffen- und Pulverlager, über. Die Bevölkerung geriet in Panik. In der Nähe wurde ein etwa 17-jähriger Bursche in Frauenkleidern aufgegriffen. Ihm und einen stadtbekannten Original, dem sogenannten Baron Zwifl, wurde - ohne jegliche Verdachtsmomente - unterstellt, für die Türken den Brand gelegt zu haben. Die beiden wurden von der Menge gelyncht. Die blutigen Leichen wurden zum Friedhof bei der Peterskirche geschleift, wo ihnen Fleischhauergesellen unter dem Jubel der Menge fachgerecht die Haut abzogen.
Seither
Nach wie vor fallen TransGender-Personen Gewalttaten zum Opfer. Nur wenige Fälle, wie jener des Brandon Teena, der 1993 in den USA gelyncht wurde, sind der Öffentlichkeit bekannt (Kinofilm: "Boys don't cry"). Weitere Beispiele sind:
Trya Hunter, 1995, M2F, verstorben, nachdem ihr ärztliche Hilfe nach einem Autounfall verweigert wurde.
Chanel Picket, 1995, M2F, Schwarze Transsexuelle Prostituierte, von Williams Palmer 8 Minuten lang stranguliert. Er wird 97 wegen tätlichen Angriffs zu 2 Jahren auf Bewährung verurteilt aber des Mordes freigesprochen.
Debbie Forte, 1995, M2F, nach dem Besuch des Brandon Teena Prozesses ermordet, Liebhaber war vom Penis überrascht: drei Stichwunden in der Brust, stranguliert, Kopfverletzungen.
Chris Paige, 1996, M2F, Brutal geschlagen, stranguliert, etwa 20 Stichwunden in der Brust und in den Unterleib, zuletzt verbrannt.
Im Internet sind inzwischen 280, vorwiegend in den USA verübte Morde an TransGender-Personen verzeichnet (www.rememberingourdead.org).
Mehr als 50 davon stammen aus den letzten beiden Jahren. Fast jede zweite Wochen ein neuer Mord. Der erste registrierte Fall ereignete sich 1972. Das letzten letzte Opfer ist Michael Charles Hurd, Houston, Texas, am 18. Juni erschossen. Das jüngste europäische Opfer ist Merlinka, der in Serbien durch TV-Talkshows bekannte Transvestit: Am 22. März 2003 wurde Merlinka in Belgard von zwei Männern zu Tode geprügelt. Ihr zerschundener Körper wurde einen Monat später gefunden. 280 Tote. Wie viele Verwundete? Wie viele Misshandelte?
14. Juli 2003
320 Jahre sind genug. Denn diese Geschichten sind auch in uns. Wir kennen die Gewaltbereitschaft gegen TransGender-Personen. Sie kann sehr subtil sein. Sie kann uns trotzdem ersticken. Und sie erstickt: Es ist dieselbe Gewalt, die manche TransGender in ihren Wohnungen einsperrt, ihre Existenzen vernichtet, sie in Depressionen bis hin zum Selbstmord treibt. Es ist die Gewalt, die es Menschen verbietet ihre ambivalenten Gefühle zu leben. Es ist die Gewalt, die unsere Geschlechtsrollen normiert: Sexismus, der uns verbietet uns so zu verhalten, wie wir wollen. Am 14. Juli 2003, 320 Jahre danach, demonstrieren wir im Gedenken an diese Geschichte der Repressio, betrauern die Unterdrückung von so vielen Menschen und feiern einer Zeit entgegen, die Geschlechtszwänge und TransGender-Hatz nicht mehr braucht.

Montag, 7.7.03

Bei TransX Abend in der Rosa Lila Villa hielt Gloria G. als Auftakt ein interessantes Referat einerseits über die historischen Begebenheiten des 14.7.1683, dem Tag der Ermordung, Gewalt damals und heute, Ursachen & Theorien von Gewalt, und endete mit einer Leseprobe aus Ihrem fazinierendem Roman "Das 6. Geschlecht".
Leider gibt es keine Bilder, aber wir haben einen Audio-Mitschnitt des gesamten Abends zum nachhören.

Ab Spielminute
0:03 Historisches Referat
0:31 Geschichte des Crossdressings
0:37 Transgendergewalt in Österreich
0:46 Theorie zur Gewalt
0:59 Auswege aus der Gewalt
1:18 "Das 6. Geschlecht" - Leseprobe aus Roman über Geschlechterrollen
Für Modem, 16 kBit Direkt Abspielen Speichern
ISDN, ADSL etc, 32 kBit Direkt Abspielen Speichern
MP3, 24 kBit Direkt Abspielen Speichern
MP3, 56 kBit Direkt Abspielen Speichern


Donnerstag, 10.7.03

Die Grünen Andersrum luden aus Anlass der Aktionswoche ins Cinematic Kino. Gezeigt wurde Jennie Livingstons legendärer Film "Paris is Burning" - bei freiem Eintritt. Anwesend waren nebst der üblichen grünen politischen Prominenz ca. 100 Besucher, überwiegend "Nicht Transgender Personen".

Paris is Burning (Jennie Livingston, USA 1991)
Sie brachten Madonna und uns das Vogueing - die Häuser LaBeija, Ninja, Xtravaganza oder Pendavis. Jene legendären Wahlfamilien aus den Armenvierteln des anderen, des farbigen New York der 80er Jahre. Regisseurin Jennie Livingston zeigt die aufregende Welt der Bälle in denen die Welt der Soap Operas zum Leben erweckt und in Wettbewerben das Leben der Upper Class nachgestellt wird. Und Livingston porträtiert die Familienverbände der Houses, die bereits seit Jahrzehnten existieren und in denen Schwule und Transgenders verschiedener Generationen zusammen leben. "Paris is Burning" ist eine Reise in die Vergangenheit, manchmal heiter und manchmal bitter melancholisch. Aber immer ist diese Reise schön, denn sie erzählt von Menschen mit Würde. Menschen, die lieben und geliebt werden.

 
Freitag, 11.7.03

Mitterlweile ist es schon fast Tradition - was beim ersten Transgender.at Treffen begann, und dann mit den Wochenenden weiterging - Treffen am Freitag ab 19 Uhr in der Pizzeria Torino (jetzt heisst sie Canduccio).
22 Transgenderpersonen verlebten einen netten Abend bei Plaudern, Pizza essen & Lachen. Wie die Bilder zeigen ist man unter sich, es gibt also keinen Grund, sich nicht hinzutrauen.

Samstag, 12.3.03

Nach einstimmigen Beschluss am Freitag wurde kein Tagesprogramm festgelegt, wir trafen uns also erst am Abend beim großen TransX Fest TransMission III - 320 Jahre danach
Gefeiert und getanzt wurde jenseits von Geschlechternormen im "Impuls of Sound" zu den Klängen der bekanntesten 70'er und 80'er Hits, es wurde eine sehr lange Nacht. Es gab ein leckere Buffet sowie um Mitternacht eine Bondage Performance.

 
Sonntag, 13.7.03

Wir trafen uns - leider nur zu viert - zum Eis Essen am Schwedenplatz. Ich liiiebe Schokoladeeis :)
Fotos gibts keine

Montag, 14.7.03

Gendenkzug zum 320. Jahrestag der Ermordung einer TransGender-Person


Wir trafen uns um 19 Uhr bei der Mölkerbastei, um weiter über den Hof zur Peterskirche zu ziehen, zu gedenken, die Namen aller Ermoderter Transgenderpersonen zu verlesen. Zu Abschluss gabs am Graben eine Performance 'Bukatka' - Performance des Volxtheater - no border Lab's
Wir, das waren ca. 100 - 150 Leute, teilweise in würdiges Schwarz gehüllt.

Nachdem ich aus familiären Gründen nicht dabei sein konnte, möchte ich an dieser Stelle andere Personen zu Wort kommen lassen, die Ihre Eindrücke und Gedanken schildern.

Queerolantin / Indymedia (Original)

Eine Geschichte über eine Trauerfeier, die etwas in uns bewegete. Eine Geschichte die in uns steckt. Die sehr subtil sein kann. Eine Geschichte die erstickt, einsperrt, vernichtet. Eine Geschichte über jene Gewalt, die es Menschen verbietet, ihre Gefühle zu leben. Eine Gewalt die Geschlechterrollen normiert. Hetero-sexismus der uns verbietet, uns so zu verhalten, wie wir wollen. Eine Geschichte von 320 Jahren TransGender-Hatz. Die Geschichte eines Weges, den wir noch oft miteinander werden gehen müssen.

Montag, 14. Juli 2003. Treffpunkt 19:00 Uhr. Wien, Mölkerbastei. Langsam sammelt sich die Menge. Es ist ein historisches Datum. 320 Jahre zuvor, als die Stadt umzingelt war, rottet sich auf eben jenem Platz die Menge zusammen. Ein bekannter Stadtsteicher und ein Junge in Frauengewand, wie später gesagt wird, boten sich an: die Menge war aufgebracht. In der Nähe war ein Feuer ausgebrochen. Sollten tatsächlich die beiden das Feuer gelegt haben. Es roch nach Verrat und Verleumdung.

Als ich den Platz direkt an der Ringstraße erreichte, sah ich die Menge. Bewacht von der Staatsmacht. Es waren nicht die üblichen Gesichter, wie ich sie sonst von Demos her kenne. Und: es waren keine Frauen unter den Beamten. Aber immerhin. Die Polizei misst dieser Aktion einiges an Bedeutung zu, so zahlreich wie sie erschienen ist, hält sie sich höflich im Hintergrund. Immerhin soll hier getrauert werden. Es ist keine Unruhe spürbar. Doch sind weit weniger Leute gekommen, als ich mir erwartet hatte. Vom Bus, der in Trauerflor gehüllt, die Bühne für diese Veranstaltung bildet, ist leise Musik zu hören. Einige Leute haben sich dem Anlass entsprechend in Schwarz gehüllt. "Oh when the Saints go marching ..." zu diesen Klängen startet nach 45 Minutne des Sammelns der Zug. Es ist ein andächtiges Bild, ein mutiges Bild. Vorneweg wird ein Kranz getragen - von Personen unterschiedlichen Geschlechts. Dann der Bus. Dahinter die Menge - mittlerweile sind es mehr als 100 geworden. Der Zug führt über Schottengasse und Freyung zum Hof. Und erregt Aufsehen. An PassantInnen werden Flugis verteilt. Sie sollen aufklären, um wen hier getrauert wird.

"320 Jahre TransGender-Hatz" - ist ganz groß auf der Titelseite des Faltblattes zu lesen, dass über den Inhalt der Veranstaltung und die Forderungen von TransX aufklärt. Die Forderung auf freien Ausdruck der eigenen Geschlechtlichkeit ohne Diskriminierung und Diffamierung, das Recht auf freie Namenswahl, keine Geschlechterdiskriminierung in Ausweispapieren, die Abschaffung unnötiger Untersuchungen von Transsexuellen - was bitte ist das? Viele Leute lesen sich ob der andächtigen Prozession das Infoblatt interessiert durch. Andere lächeln. Andere lachen. Oder sagen: Ich bin nicht schwul. Ist das das Volxtheater, fragt ein interessierter Passant, der seine Frau am Arm führt. Auch, die ist mit dabei. Ihr Bus ist unter dem Trauerflor versteckt, vor und hinter dem der Trauerzug sich den Weg bahnt, der vor 320 Jahren tötlich endete. Viele verstehen nicht, was das soll. Oder wollen sie nicht? Der guten Stimmung tut dies keinen Abbruch.

Dann nähert sich die Prozession der Zwischenkundgebung am Hof. Der Kranz wird am Bus hochgezogen, hägt dort während einer mitreissenden Rede. Hier drohte das Feuer auf das Zeughaus überzugreifen. Wo jetzt die Feuerwehr zuhause ist, lagerten früher Waffen und Munition. Die Meute war aufgebracht. Die Schuldigen waren festgemacht. Sie waren anders. Sie sahen anders aus. An ihnen konnte das Exempel vorexerziert werden. Abweichung kann nicht so ungestraft davon kommen. Was vor 320 Jahren geschah, ist jedoch kein Einzelfall. Im Internet gibt es eine Dokumentation von ermordeten Transgender-Personen. Seit 1970 sind es bereits mehr als 280 dokumentierte Fälle - waren es noch vor ein paar Tagen. Die Übergriffe sind alltäglich. Nicht nur Mord und Totschlag, auf viel subtilere Weise werden Menschen diskriminiert, ausgelacht, gedemütigt, müssen sich verstecken. Heute nicht. Heute ist ein historischer Tag.

Ich bin gebannt von der Rede, blicke ein wenig herum, bin betroffen. Doch siehe da: Jene die uns "beschützen" - sie haben ihren Spass. Zumindest die meisten. Lediglich einer der Beamten dürfte sich tatsächlich dafür interesssieren, worum es geht. Wollen sie es nicht begreiffen? Doch. Umso mehr scheint es ihnen Spass zu machen. Als dann vom Busdach begonnen wird, die Namen der Toten vorzutragen - und wie sie gestorben sind: die gute Laune unter Beschützern und PassantInnen ist durch nichts zu erschüttern.

Der Bus setzt sich wieder in Bewegung - und mit ihm der Trauerzug. Es ist markaber, ständig die Namen von mir unbekannten Menschen zu hören. Und trotzdem zu fühlen, dass es sich hier um etwas handelt, dass ich seit meiner Kindheit nicht verstehen kann. Warum müssen wir uns bestimmten Rollen entsprechend verhalten? Das Spiel mitspielen, dass sehr oft tötlichen Ernst annimmt? Fragen über Fragen.

Jedenfalls ist es eine andere Szene. Es ist anders, wenn die Namen von Menschen vorgelesen werden, die ermordet wurden. Auf vielfältige Weise, die Kreativität vermuten lässt? Nein, sie spricht Kreativität ab. Engt ein. Zeigt auf, auf welch grausame Art und Weise Menschen den Tod finden können. Ich fühle mich nicht in der Lage, die Reaktionen der PasantInnen zu beschreiben. Rede mit einigen. Und wieder: Ich bin nicht schwul. Den genannten interessiert der historische Gehalt diese Tages nicht. Genausowenig wie unsere Anliegen. Andere sind sehr wohl interessiert. Leider haben wir für das vielsprachige Publikum keine mehrsprachigen Flugis mitgebracht. Einige zeigen sich interessiert, fragen nach. Es ist schon schaurig, wenn du bei einem Eis sitzt und plötzich kommt ein Totenzug vorbei. Nicht, dass hier eine/r zu Grabe getragen wird, nein es ist viel mehr. Es ist die Trauer, mit der wir tagtäglich konfrontiert sind. Die unser Leben zu rauben versucht, uns aushöhlt.
So erreichen wir die Peterskirche am Graben. Vom Dach des Busses wird noch immer vorgetragen. Sie scheint nicht enden zu wollen. Rund herum entstehen einige Diskussionen mit PassantInnen. Ich bemerke zwei Männer, die englisch sprechen und versuchen, rauszubekommen, worum es hier geht. Sie halten ein Infoblatt in der Hand, aus dem für sie nicht klar hervorgeht, was hier los ist. Währenddessen entstehen mehrere Gespräche. Es ist keine offene Ablehnung zu spüren. Wie auch, in diesem Rahmen? Ein großes Transparent am Bus verrät worum es geht. Einer der englischsprechenden Männer stellt fest: "It's transgender". Er legt das Infoblatt auf einen Mistkübel und entfernt sich mit seinem Begleiter. Andere bleiben stehen, sind interessiert. Andere gehen schnell vorbei. 280 Namen wurden vorgelesen. Namen von Menschen und wie sie ermordert wurden.

Zeit für eine weitere Rede. Für sowas wie ein Resumee. Über Sexismus, über Homophobie, wie wir sie von unserem Alltag her kennen. Es ist Zeit, diesem Alltag den Rücken zuzukehren. Für eine neue Zeit, in der mensch das eigene Geschlecht frei leben kann und darf. Ohne Angst zu haben, eingesperrt, gedemütigt, ermordet zu werden. 320 Jahre nachdem an eben jener Stelle, an der gehäutet wurde, weil zufällig ein vermeinlticher, in Frauenkleider gehüllter Junge der aufgebrachten Meute in die Hände gefallen ist? War es wirklich ein Zufall? So wie die anderen 280 dokumentierten Fälle seit 1970?
Wir wollen unser Leben selbst bestimmen. Unsere Sexualität frei wählen, uns in kein enges Korsett schnüren lassen. Es ist an der Zeit, die alte Haut abzustreifen. Zeit, dass wir die nächsten 320 Jahre dazu nutzen, dass diese Form der Trauer, wie wir sie hier zelebrierten, der Vergangenheit angehört.

Dass wir an diesem historischen Tag offen durch die Straßen Wien ziehen durften/konnten, ohne allzu offene Diskriminierung, das ist zweilfelsohne ein Erfolg. Ein Erfolg für Leute, die sich sonst oft verstecken - oder verkleiden - müssen.
Wo einst die Menge gröhlte, als sie ihren Aggressionen gegen die Abweichung freien Lauf ließ, verwandelt sich das Szenarium plötzlich in ein Fest. Die Musik ziert sich ein wenig, ist sich nicht sicher, ob sie ohne Unterbrechung eine Jubelstimmung verbreiten soll. Doch die Menge jubelt. Einen schwarzes Kleid fällt zu Boden. Der Bus verliert seinen Trauerflor. Doch es ist noch nicht zu Ende.

Wir begeben uns weiter zur Pestsäule, die sich direkt ums Eck am Graben befindet. Rundherum TouristInnen. Das Geschäft blüht. Die Gesetzeshüter scheinen noch immer gut gelaunt. Ihnen ist das Lachen ob des Stimmungswechsel nie vergangen. Dann endlich: die erwartete Einlage der Volxtheaterkarawane. Drei Lieder werden gesungen, in denen es um Widerstand geht, vor allem um eine seiner Formen: Spucken. Heute ausnahmsweise nicht mitten ins Gesicht.

Um 22:00 klingt die Performance langsam aus. Die Beamten haben es eilig, den Bus aus der Innenstadt rauszulotsen. Sie haben miterlebt, wie eine neue Zeit eingeleitet wurde. Eine Zeit, in der wir unser Geschlecht nach unserem Willen gestalten und leben können. Zumindest einer scheint nicht ganz einverstanden zu sein. Jener Polizist, der zuerst den Bus aus der Innenstadt hinauslotst, hält ihn später auf. Angeblich eine Verkehrskontrolle. Gerade in jenem Augenblick, als der Wagen mit seinen Vorgesetzten über den Ring verschwindet, wird die Amtshandlung eingeleitet. Sofort sind weitere Polizeiautos zur Stellen. Ob es wegen der Volxtheaterkarawane ist, wegen der Provokation, die die Polizisten (ja, ich habe diemal echt keine Frau unter den Beamten ausmachen können) mitansehen musste, ohne eingreifen zu dürfen. Das spielt keine Rolle. Denn die Repression - so haben wir gesehen - kann alle treffen, die abweichen. Egal ob Stadtbekannter Sandler oder vermeintlicher Junge in Frauenkleidern. Sie alle stehen auf der Abschussliste.

Die Reaktion einer Mitstreiterin bringt dies auf den Punkt: Die Reaktionen der PassantInnen und AnrainerInnen über das Verlesen von geschundenen und ermordeten Menschen zu lachen, machen mich tief betroffen. Es zeigt mir, dass wir noch oft miteinander diesen Weg gehen müssen. Ich werde dabei sein. Die politische Dimension dieses Gedenkens ist enorm. Das zeigt nicht nur die Reaktion der Polizei. Unser Häufchen Menschen erinnerte mich an die ersten Demonstrationszüge der Lesben und Schwulenbewegung im Wien 1985 und 1986. Gestern, das war ein Meilenstein.

Ja, es war ein Meilenstein. Ich war in den 80ern nicht dabei. Damals wusste ich nicht mal, dass es neben Mann und Frau noch andere Möglichkeiten gibt. Da nutzte es mir nichts, dass mir manchmal zum aus der Haut fahren war. Doch heute ist mir klar, dass wir unsere Haut nicht ablegen müssen. Wir müssen uns nur trauen, unsere Identitäten zu zeigen, unsere Meinung zu sagen. Mit allen möglichen Konsequenzen. Es gibt keine Kompromisse, wenn wir davon träumen, dass in 320 Jahren ein ganz ein andere Gedenkzug stattfindet. Ein Zug, der sich der historischen Bedeutung jener Ereignisse bewusst ist, die die vergangenen 640 Jahre bestimmten.

Eine Zeit, in der queer nicht nur eine Minderheit ist, sondern zum Alltag wird. In der jedeR das Recht auf freie Wahl des eigenen Geschlechtes und auf den uneingeschränkten Ausdruck aller geschlechtlichen Empfindungen hat. In der die Wahl der Kleidung eine persönliche Entscheidung ist und nicht zu alltäglicher Diffamierung führt. In der ich selbst meinen Namen wählen kann - egal welches Geschlecht ich damit ausdrücken will. In der ich nicht nach Geschlecht (oder Herkunft oder Religion oder Aussehen oder...) beurteilt und behandelt werde. Eine Zeit ohne Geschlechterdeklarationen und Geschlechterdiskriminierungen.
Ein Zeit, in der es Geschichte ist, wie wir am 14. Juli 2003 für das Recht auf freien Ausdruck der eigenen Geschlechtlichkeit ohne Diskriminierung und Diffamierung demonstrierten - und jener Zeit entgegenfeierten, die Geschlechtszwänge und TransGender-Hatz nicht mehr braucht.

Martina / Transx (Transgender.at Mailingliste)

auch ich möchte mich ganz herzlich bei eva und auch jo für ihren immensen einsatz bedanken, ohne den die gesamte aktionswoche so nicht stattgefunden hätte. mein dank gilt allen, die in irgendeiner weise einen beitrag dazu leisten konnten (danke gloria!) und die uns gestern begleitet haben, besonders natürlich auch der volxtheater karawane. der gestrige demonstrationszug war ein für mich denkwürdiges ereignis und ein meilenstein in der geschichte von trans-x und der transgender
community. ich möchte mich auch bei dir bedanken für die würdevolle art, in der du den gedenkzug angeführt hast.

ich glaube, dass wir innerhalb eines jahres viel getan und auch manches erreicht haben (wir werden immerhin schon wahrgenommen, auch abseits von "schillernden szeneevents" über die die boulvardpresse so gerne berichtet) und ich möchte alle diejenigen, die sich vielleicht noch nicht getraut haben an aktionen in der ffentlichkeit teilzunehmen, ermuntern, sich doch bei nächster gelegenheit zu trauen und sich bewusst neugierigen/interessierten/dummen blicken, fragen und bemerkungen auszusetzen. ich weiss ich kann nur für mich sprechen, aber ich selbst habe wahnsinnig an selbstvertrauen gewonnen wenn es darum geht, meine identität selbstverständlich und offen zu leben. die nächste gelegenheit gibt es beim volksstimmefest ende august, wo wir wieder einen stand haben werden, um über unsere anliegen zu informieren und unterschriften dafür zu sammeln. es ist eine sehr gute gelegenheit in recht angenehmer antmosphäre.

ich gebe dir recht, dass noch ein weiter weg (oder noch öfter derselbe weg) vor uns liegt, aber ein anfang ist gemacht und steter tropfen höhlt den stein. die oft verständnislosen oder auch belustigten reaktionen von passantInnen basieren halt auf weitgehendem unwissen und auch einem gehörigen mass ignoranz (heisst ja eigentlich auch nur "nichtwissen"). viele überspielen so auch ihre unsicherheit wenn sie mit etwas konfontiert sind, was sie nicht verstehen. oder noch schlimmer, ihre
unsicherheit die sie in sich selbst empfinden und die sie nicht zulassen können und durch spott und diskriminierung kompensieren. so sehr ich mir eine aufgeschlossenere gesellschaft wünsche, es liegt an uns, sie "aufzuschließen", indem wir unsere anliegen professionell in der öffentlichkeit und über die medien transportieren und verbündete dafür finden (was ja auch schon teilweise gelungen ist).

die episode mit dem bus finde ich enttäuschend, nachdem ich während der kundgebung eigentlich einen positiven (oder immerhin keinen negativen) eindruck von den anwesenden polizisten hatte. ich hatte nicht den eindruck, dass sie sich z.b. über uns lustig gemacht hätten. umso trauriger finde ich, dass so etwas passiert, sobald die öffentlichkeit nicht mehr gegeben ist.

liebe grüße
martina

Linda Winkelhöfer (Transgender.at Mailingliste)

Der gestrige Gedenkzug war tatsächlich ein Meilenstein in der Geschichte der österreichischen Trans-Gemeinde und ein kräftiges Lebenszeichen von TransX. Schließlich war es das erste Mal, dass wir autonom, also nicht eingebunden in eine größere Veranstaltung (Regenbogenparade, Volksstimmefest, Visionale), ein derart öffentlichkeitswirksames Ereignis zustande brachten.

Dabei ist es nicht wirklich verwunderlich, dass die Reaktionen der Passanten sehr unterschiedlich ausgefallen sind. Die Innere Stadt ist tatsächlich ein anderes Pflaster als die Jesuitenwiese (Anmerkung für die, die's nicht wissen: Veranstaltungsort des Volksstimmefestes). Dass einige gelacht haben finde ich gar nicht so erschütternd, denn die Ernsthaftigkeit der Aktion war für Nicht-Eingeweihte, die das Ganze nur im Vorübergehen wahrgenommen haben, vielleicht gar nicht erkennbar. Es war eben Performance, und sie hatte auch etwas Provokantes an sich. Provokant im wörtlichen Sinn als Hervorrufen von Emotionen, nachdenklich machen, provokant aber auch im Sinne einer Herausforderung jener, die Trans* als eklig, krankhaft und dekadent empfinden.

Es stimmt: Gestern waren da viel mehr Menschen als bei den bisherigen Aktionen, die Ihre Abneigung recht deutlich zum Ausdruck gebracht haben. Die Veranstaltung hat polarisiert, nur die Wenigsten hat sie gleichgültig gelassen. Ich glaube allerdings nicht, dass sie dazu beitragen kann, die Lebensbedingungen für TransGender-Personen zu verbessern. Dazu sind andere Aktionen weit besser geeignet. Aber sie hat gezeigt, dass es TransGender gibt. Sie hat gezeigt, dass wir uns nicht verstecken, sondern als Bestandteil der Gesellschaft wahrgenommen werden wollen. Und sie hat schließlich gezeigt, dass sich viele Menschen solidarisch erklären mit der TransGender-Community.

Alles in allem war es richtig, das Risiko einer derartigen Veranstaltung einzugehen, und den HauptakteurInnen, die sich damit in besonderer Weise exponiert haben, gebührt Anerkennung und Dank.

In weiterer Folge müssen wir aber sicher auch den Weg fortsetzen, den TransX schon 2002 begonnen hat, nämlich Trans* abseits theatralischer Darstellung
zu präsentieren als etwas, was für die Mehrzahl der Menschen ohnehin selbstverständlich ist: Leben im Einklang mit dem Identitätsempfinden, ganz egal, wie der Körper beschaffen ist.

Erst gestern hab ich von einer von uns erfahren, dass sie ihren Job verloren hat, als sie den Alltagstest begonnen hat. Nach 25 Jahren.

Du hast Recht, Heike, wir haben noch viel zu tun.

Liebe Grüße
Linda

Eva / TransX (Transgender.at Mailingliste)

Liebe Martina, Heike und Linda: Danke für die Blumen zum Begräbnis. Ich muss euch recht geben. Auch wenn ich zunächst einen etwas breiteren Zug erwartet habe, so war der 14. Juli ein ganz beindruckender Meilenstein. Die erste TG-Demo, eine Plattform, Solidarität und trotz des etwas exotischen Anlasses mitten in der besten Ferienzeit wohl etwas über 100 bis 150 Teilnehmer. Keine Frage, es war sicher die größte europäische TG-Demonstration in diesem Jahr. Und zugleich war es auch etwas ganz neues in der Österreichischen Demonstrationskultur: Trauerzug, Demo, Politx und Performance. Vielleicht macht's Schule. Ich kann euch jedenfalls versichern, dass wir bei den etwas chaotischen Linken einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. TG's sind für sie nun wirklich keine dubiosen Wesen mehr. Ich freu mich auch jeden Fall schon auf eine mögliche weitere Kooperation.

 Links