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Hormonbehandlung bei Transsexuellen
von Wolf Eicher
Eine sogenannte körperliche Geschlechtsumwandlung ist nicht möglich,
wohl aber eine Angleichung an das angestrebte Geschlecht. Auf diesem Weg
sind drei Prozesse zu unterscheiden, die sich gegenseitig verstärken,
die Anpassung durch geschlechtsspezifische Verhaltensänderungen, hormonell
verursachte Veränderungen und die chirurgische Transformation. Entscheidend
für den Beginn der hormonellen Behandlung sollte eine gesicherte Transsexualitätsdiagnose
sein. Außerdem sollte die Indikation zur körperlichen Transformation
gestellt sein. Die Auswirkungen sind z.T. irreversibel (Stimmbruch, Behaarung,
Hodenatrophie) und können bei fehlender Diagnose das Bild verwischen
und die Diagnostik erschweren.
Vor jedem operativen Eingriff sollte eine mindestens 6 monatige Hormontherapie
vorgeschaltet sein, die eine gewünschte Virilisierung oder Feminisierung
bringt. Diese hormonelle Vorbehandlung stellt gleichzeitig einen Test dar, ob
der Patient in der Lage ist, die lebenslange Substitution mit den gegengeschlechtlichen
Hormonen zu vertragen. Eine lebenslange hormonelle Substitution damit ist nämlich
notwendig, um schwere Symptome des Hormonmangels nach der Operation (Kastration)
und damit eine vorzeitige Alterung und Verkürzung der Lebenszeit zu vermeiden.
Ein Transsexueller wird über die Veränderung durch die Hormonbehandlung
an seinem Körper glücklich sein und Auftrieb erhalten, während
sich wiederholt gezeigt hat, daß ein nicht wirklich Transsexueller sich
unwohl fühlt und über Nebenwirkungen allgemeiner Art klagt. In dem
Sinne ist die ausreichend lange präoperative Hormontherapie auch ein Test
zur Bestätigung der Diagnose.
Die erwünschten Ziele der Hormonbehandlung bei Transsexualismus
sind in der Tabelle zusammengestellt:
Tabelle
Ziele der Hormonbehandlung von Transsexuellen
Frau-zu-Mann (Vermännlichung) |
Mann-zu-Frau (Verweiblichung) |
Männliche Haarverteilung |
Weibliche Fettverteilung |
Zunahme der Muskelmasse |
Weiche Haut |
Stimmbruch |
Gynäkomastie |
Amenorrhoe |
Hodenatrophie |
|
Potenzverlust (Erektion, Ejakulation) |
Praxis der Hormonbehandlung bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen
Um einen männlichen Werten entsprechenden Testosteronspiegel im Blut zu erreichen
und über 2 bis 3 Wochen aufrechtzuerhalten, verabreichen wir in diesem Intervall
250 mg Testoviron-Depot i.m. (Testosteronenantat in öliger Lösung).
Eine schnellere Vermännlichung wird durch höhere Dosen nicht erreicht,
da die Wirkung durch die Zahl der Androgenrezeptoren bestimmt wird. Höhere
Dosen führen lediglich zur Leberbelastung. Als Komplikation wird die Verstärkung
oder Ausprägung einer Akne beobachtet, die so ausgedehnt und störend
sein kann, daß die Hormontherapie abgesetzt und die Dosierung wesentlich
reduziert werden muß. In solchen Fällen verordnen wir zusätzlich
ein Breitbandantibiotikum (Vibramycin, anfangs 200, dann 100 mg täglich).
Weiter kann es in seltenen Fällen zur Wasserretention und Ödembildung
kommen. Durch das Testosteron kommt es zum Sistieren der monatlichen Blutungen,
zur Amenorrhoe. Die Ovarien werden ruhiggestellt. Nach einigen Wochen, manchmal
aber auch erst nach Monaten, wird der Patient heiser, und es kommt zum Stimmbruch.
Die diesbezügliche Ansprechbarkeit ist individuell äußerst unterschiedlich.
In der Regel kommt es zu einer Hypertrophie der Stimmbänder. Kurz nach Beginn
der Therapie tritt eine generell vermehrte Behaarung im Sinne eines Hirsutismus
auf. Das Intervall bis zum kräftigen Bartwuchs ist wiederum individuell sehr
unterschiedlich. Es stellt sich ein typisches männliches Behaarungsmuster
mit Übergang des T-förmigen Schamhaarabschlusses in einen Rhombus mit
Behaarung bis zum Nabel und eine Behaarung der Brust ein. Außerdem kommt
es zu einer deutlichen Zunahme der Muskulatur. Psychologisch wirkt die Testosteronbehandlung
tonisierend. Das Auftreten wird optimistischer, aber auch fordernder und gelegentlich
aggressiver. In der Regel kommt es zu einer Vergrößerung der Klitoris
durch die Androgentherapie. Die Klitorishypertrophie bleibt aber in der Regel
hinter der Hoffnung der Betroffenen zurück. In der Mehrzahl bleibt sie bei
1 bis 2 cm, selten erreicht sie 3 bis 4 cm. Alternativ ist eine orale Behandlung
möglich mit Andriol (Testosteronundecanoat). Wir beginnen in der Regel mit
4 Kapseln täglich (2 x 2). Hiermit läßt sich in der Mehrzahl der
Fälle, jedoch nicht bei allen, ein ausreichend hoher Wirkspiegel und die
erwünschte Vermännlichung sowie die Aufrechterhaltung der notwendigen
Dauersubstitution in ausreichender Höhe erreichen.
Praxis der Hormonbehandlung bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen
Wir haben die Mann-zu-Frau-Transsexuellen Jahrzehnte mit einem Überschuß
an Östradiol durch Östrogeninjektionen intramuskulär erfolgreich
und nebenwirkungsarm behandelt. Es handelte sich um das Präparat 100
mg Progynon Depot (Östradiol in öliger Lösung), welches
in 2wöchentlichem Abstand gespritzt wurde. Das Präparat ist in
Deutschland aus dem Handel, wohl aber noch über das Ausland (Griechenland)
über Apotheken zu beziehen. Hierbei wird bewußt Östrogen
im Überschuß gegeben, da eine möglichst schnelle Verweiblichung
von der Patientin erwünscht wird. Eine schnelle Reduzierung der Dosis
auf die Hälfte, was zur Verweiblichung immer noch ausreichende Hormonspiegel
bewirken würde, wurde in den meisten Fällen als unangenehm empfunden,
da schnell eine Gewöhnung erfolgte. Die Blutspiegel unter der Dosierung
von 100 mg Progynon Depot liegen über 500 bis über 1000 pg. Nachdem
das Präparat in Deutschland nicht mehr direkt verfügbar war,
wurde es mancherorts durch Estradurin 80 mg 2wöchentlich ersetzt.
Die Injektionen wurden von manchen Betroffenen als schmerzhaft und teuer
abgelehnt.
Eine Verweiblichung kann jedoch durchaus auch durch 2wöchentliche
Injektionen mit Estradiol-Depot Jenapharm 20 mg (2 Amp. Estradiolvalerat)
erzielt werden. Auch in wesentlich niedriger Dosierung kann mit etwas Geduld
eine eindeutige Verweiblichung erreicht werden, z. B. mit 3 x 1 Tbl. Progynon
C oder Estrifam forte 2 Tbl. täglich. Neuerdings besteht auch die
Möglichkeit, das Östrogen durch das sogenannte Östrogenpflaster
Estraderm TTS zuzuführen. Wir empfehlen in dem Fall das Estraderm
TTS 100 2 x wöchentlich. Damit soll im speziellen das Thromboembolierisiko
deutlich abgesenkt werden. Außerdem kommt es zu einer geringeren
Leberbelastung.
In einigen Fällen wird auch die Pille Diane benutzt, die als Gestagen
Cyproteronacetat enthält. Sie ist als alleinige Medikation häufig
nicht ausreichend hoch dosiert.
Als eleganteste Methode betrachten wir zur Zeit die Implantation eines
Östrogenstylus unter die Haut, welcher dort über ein halbes Jahr
einen ausreichend hohen Wirkspiegel im Gesamtorganismus aufrechterhält.
Das Präparat heißt Östradiol implant (Organon, Cambridge)
und ist über die internationale Apotheke zu beziehen. Nach unserer
Erfahrung ist die Implantation eines 25-mg- und 50-mg-Stylus, also insgesamt
75 mg, geeignet, um einen Wirkspiegel zwischen 500 und 200 pg über
ein halbes Jahr aufrecht zuerhalten. Die Implantation eines l00-mg-Stylus
ist nicht notwendig. Leider gibt es keinen 75-mg-Stylus. Es erfolgt eine
lokale Injektion eines Anästhetikums (Scandicain 1 % ig unter die
Bauchhaut), eine 4 mm lange Stichinzision und das Einführen eines
Trokars, durch den das Implantat geschoben wird. Die Inzision kann mit
einem Spannpflaster oder mit einem Stich verschlossen werden.
Zur Reduktion der männlichen Behaarung wird ein Antiandrogen,
Cyproteronacetat (Präparat Androcur), zum Teil in hohen Dosen eingesetzt,
zusätzlich zum Ostrogen 50 mg. 10 mg sind nach unseren Erfahrungen
völlig ausreichend und genauso wirksam. Eine wirklich durchschlagende
Reduzierung der Behaarung läßt sich jedoch mit Cyproteronacetat
überhaupt nicht erreichen. Die Wirkung besteht nur in einer relativen
Verminderung und macht eine Epilation nicht überflüssig. Als
Gestagen wirkt es zusätzlich positiv auf die Brustentwicklung, d.h.,
es fördert die Gynäkomastie.
Die durch die Hormonbehandlung entstehende Gynäkomastie hängt
individuell vom Rezeptorgehalt in der Brust ab und weniger von der Höhe
der Dosis. In vielen Fällen reicht allein die Hormonbehandlung aus,
um schöne weibliche Brüste zu bekommen, ohne daß eine chirurgische
Augmentation notwendig wird. Die chirurgische Augmentation der Brust wird
bei unseren Patienten nur in 30 bis 40% der Fälle durchgeführt.
Durch die Hormonbehandlung kommt es zu einer Reduktion der Libido,
zur Verminderung der Erektion und zum Ejakulationsverlust, was von dem
Transsexuellen als angenehm empfunden wird. Die Haut am Körper ändert
sich durch den Einfluß des Östrogens. Das Unterhautfettgewebe
wird aufgelockert, und es kommt zu einer weiblichen Fettverteilung und
Zunahme des Fettpolsters im Hüftbereich. Durch die gegengeschlechtliche
Hormontherapie atrophieren die Hoden, und die Prostata wird deutlich kleiner.
In einigen Fällen, durchaus aber nicht in der Regel, kommt es auch
durch Langzeitbehandlung zu einer Verkleinerung des Penis. Im Lauf der
Behandlung wird die Stimme weicher, was jedoch nicht nur mit der Hormonapplikation,
sondern mehr mit dein Verhalten des Patienten zu tun hat, der sich der
weiblichen Rolle angleicht. Wichtig ist eine psychische Stabilisierung
durch die Hormonbehandlung.
Die Risiken der Hormonbehandlung bestehen in der Leberbelastung und
im gesteigerten Thromboembolierisiko, welches nach neueren holländischen
Untersuchungen um 6 % liegt. Nach unseren Erfahrungen ist das Risiko niedriger.
Notwendigkeit lebenslanger Substitution
Postoperativ ist eine Hormonbehandlung lebenslang erforderlich, da in beiden Fällen
bei der Operation die Keimdrüsen entfernt werden. Bei fehlender Hormonsubstitution
kommt es zur Osteoporose und zum Frakturrisiko sowie zu hormonellen Ausfallserscheinungen,
wie sie im Klimakterium üblich sind. Ohne Hormone kommt es zur vorzeitigen
Alterung, einer Zunahme kardiovaskulärer Erkrankungen und einer verminderten
Lebenserwartung.
Literatur:
Wolf Eicher
Transsexualismus
Gustav Fischer Verlag Stuttgart
ISBN 3-437-11413-1