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Zeitschrift für Sexualforschung
Herausgegeben von
Sophinette Becker, Martin Dannecker, Margret Hauch, Günter Schmidt
und Volkmar Sigusch
Heft 2 10. Jahrgang Juni 1997 Seiten 147-156 Sonderdruck
Ferdinand Enke Verlag Stuttgart
Englische Version
Dokumentation
Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen
der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, der Akademie für
Sexualmedizin und der Gesellschaft für Sexualwissenschaft
Sophinette Becker, Hartmut A. G. Bosinski, Ulrich Clement, Wolf Eicher,
Thomas M. Goerlich, Uwe Hartmann, Götz Kockott, Dieter Langer, Wilhelm
E Preuss, Gunter Schmidt, Alfred Springer, Reinhard Wille
Seit 1980 gibt es in der Bundesrepublik Deutschland das Transsexuellengesetz
(TSG), das die juristischen Voraussetzungen der Vornamens- und Personenstandsänderung
regelt. Es existieren jedoch bislang keine verbindlichen Richtlinien für
die Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen. Die 1979 erstmals vorgelegten
und seitdem mehrfach überarbeiteten "Standards of Care" der Harry
Benjamin International Gender Dysphoria Association sind auf deutsche Verhältnisse
nur begrenzt anwendbar. Deshalb wurden die folgenden "Standards der Behandlung
und Begutachtung von Transsexuellen" von einer von der Deutschen Gesellschaft
für Sexualforschung einberufenen Expertenkommission unter der Leitung
von Sophinette Becker erarbeitet.
1. Einleitung
Transsexualität ist durch die dauerhafte innere Gewißheit, sich
dem anderen Geschlecht zugehörig zu fühlen, gekennzeichnet. Dazu
gehören die Ablehnung der körperlichen Merkmale des angeborenen
Geschlechts und der mit dem biologischen Geschlecht verbundenen Rollenerwartungen
sowie der Wunsch, durch hormonelle und chirurgische Maßnahmen soweit
als möglich die körperliche Erscheinungsform des Identitätsgeschlechts
anzunehmen und sozial und juristisch anerkannt im gewünschten Geschlecht
zu leben. Nach den heute gültigen diagnostischen Klassifikationsschemata
wird die Transsexualität als eine besondere Form der Geschlechtsidentitätsstörungen
angesehen.
Ursachen und Verlaufsbedingungen von Störungen der Geschlechtsidentität
sind noch weitgehend ungeklärt und Gegenstand verschiedenartiger theoretischer
Ansätze. Ein persistierendes transsexuelles Begehren ist das Resultat
sequentieller, in verschiedenen Abschnitten der psychosexuellen Entwicklung
gelegener, eventuell kumulativ wirksam werdender Einflußfaktoren.
Dementsprechend können unterschiedliche Entwicklungswege zur Ausprägung
des transsexuellen Wunsches führen.
Wegen der weitreichenden und irreversiblen Folgen hormoneller und/oder
chirurgischer Transformationsmaßnahmen besteht im Interesse der Patienten
die Notwendigkeit einer sorgfältigen Diagnostik und Differentialdiagnostik.
Die Heftigkeit des Geschlechtsumwandlungswunsches und die Selbstdiagnose
allein können nicht als zuverlässige Indikatoren für das
Vorliegen einer Transsexualität gewertet werden. Eine zuverlässige
Beurteilung ist nur im Rahmen eines längerfristigen diagnostisch-therapeutischen
Prozesses möglich. Wesentlicher Teil dieses Prozesses ist der sogenannte
Alltagstest, in dem der Patient kontinuierlich und in allen sozialen Bereichen
im gewünschten Geschlecht lebt, um die notwendigen Erfahrungen zu
machen. Behandlungskonzepte müssen der individuellen Entwicklung des
jeweiligen Patienten gerecht werden, wobei die scheinbare Alternative "körperliche
Behandlungsmaßnahmen" versus "psychotherapeutische Behandlung" zugunsten
eines integrativen Ansatzes überwunden werden sollte.
Der Patient wird darüber informiert, daß er die Modalitäten
der Kostenübernahme (Psychotherapie, organmedizinische Behandlungen,
Gutachten) klären muß.
Die folgenden Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen
sind Mindestanforderungen. Abweichungen von diesen Standards sind in der
Patientenakte schriftlich zu begründen.
2. Standards der Diagnostik und Differentialdiagnostik
Bei der Interpretation der Angaben des Patienten ist zu beachten, daß
das Anstreben einer "Geschlechtsumwandlung" eine Lösungsschablone
für verschiedenartige Probleme der Identität und/oder Geschlechtsidentität
sein kann. Ergibt der diagnostische Prozeß, daß die Diagnose
Transsexualität im Sinne der Standards nicht vorliegt, sind die "Standards
der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen" nicht anwendbar.
2.1 Standards der Diagnostik
Für die Diagnose der Transsexualität müssen folgende Kriterien
erfüllt sein:
-
eine tiefgreifende und dauerhafte gegengeschlechtliche Identifikation;
-
ein anhaltendes Unbehagen hinsichtlich der biologischen Geschlechtszugehörigkeit
bzw. ein Gefühl der Inadäquatheit in der entsprechenden Geschlechtsrolle;
-
ein klinisch relevanter Leidensdruck und/oder Beeinträchtigungen in
sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionen.
Diese Kriterien entsprechen weitestgehend jenen, die in den international
gebräuchlichen Klassifikationssystemen der Krankheiten (DSM-IV ICD-10)
genannt werden. Im Unterschied zu diesen Klassifikationssystemen wird jedoch
ein intersexuelles Syndrom nicht zwingend als Ausschlußkriterium
betrachtet. Allerdings sollte in derartigen Fällen geprüft werden,
ob anstelle des Transsexuellengesetzes die Regelung des § 47 Personenstandsgesetz
("Irrtümliche Geschlechtsfeststellung zum Zeitpunkt der Geburt") anzuwenden
ist.
Die genannten Kriterien verlangen folgende diagnostische Maßnahmen:
-
eine Erhebung der biographischen Anamnese mit den Schwerpunkten Geschlechtsidentitätsentwicklung,
psychosexuelle Entwicklung (einschließlich der sexuellen Orientierung),
gegenwärtige Lebenssituation;
-
eine körperliche Untersuchung mit Erhebung des gynäkologischen
bzw. andrologischen/urologischcn sowie endokrinologischen Befundes;
-
eine klinisch-psychiatrische/psychologische Diagnostik, da viele Patienten
mit Störungen der Geschlechtsidentität erhebliche psychopathologische
Auffälligkeiten aufweisen. Diese können der Geschlechtsidentitätsstörung
vorausgegangen oder reaktiv sein oder gleichzeitig bestehen.
Die klinisch-psychiatrische/psychologische Diagnostik soll breit angelegt
sein. Untersucht und beurteilt werden sollen:
-
das Strukturniveau der Persönlichkeit und deren Defizite;
-
das psychosoziale Funktionsniveau;
-
neurotische Dispositionen bzw. Konflikte;
-
Abhängigkeiten/Süchte;
-
suizidale Tendenzen und selbstbeschädigendes Verhalten;
-
Paraphilien/Perversionen;
-
psychotische Erkrankungen;
-
hirnorganische Störungen;
-
Minderbegabungen.
2.2 Standards der Differentialdiagnostik
Im Bereich der Geschlechtsidentitätsstörungen besteht eine ausgeprägte
Vielfalt an Verlaufsformen, Persönlichkeitsstrukturen, assoziierten
psychosozialen Merkmalen und sexuellen Partnerpräferenzen, die eine
präzise Differentialdiagnostik erforderlich machen.
Folgende Differentialdiagnosen sind zu beachten:
-
Unbehagen, Schwierigkeiten oder Nicht-Konformität mit den gängigen
Geschlechtsrollenerwartungen, ohne daß es dabei zu einer überdauernden
und profunden Störung der geschlechtlichen Identität gekommen
ist;
-
partielle oder passagere Störungen der Geschlechtsidentität,
etwa bei Adoleszenzkrisen;
-
Transvestitismus und fetischistischer Transvestitismus, bei denen es in
krisenhaften Verfassungen zu einem Geschlechtsumwandlungswunsch kommen
kann;
-
Schwierigkeiten mit der geschlechtlichen Identität, die aus der Ablehnung
einer homosexuellen Orientierung resultieren;
-
eine psychotische Verkennung der geschlechtlichen Identität;
-
schwere Persönlichkeitsstörungen mit Auswirkung auf die Geschlechtsidentität.
3. Standards der Psychotherapie/psychotherapeutischen Begleitung
Die psychotherapeutische Begleitung hat in Verbindung mit dem Alltagstest
zentrale Bedeutung in der Behandlung transsexueller Patienten und muß
in jedem Fall vor der Einleitung somatischer Therapiemaßnahmen stehen.
Die Psychotherapie ist neutral gegenüber dem transsexuellen Wunsch.
Sie hat weder das Ziel, dieses Bedürfnis zu forcieren noch es aufzulösen
(auch wenn es zu einer Auflösung des transsexuellen Wunsches kommen
kann). Darüber hinaus soll sie dazu dienen, die Diagnose Transsexualität
zu sichern. Zusammen mit dem Alltagstest soll die Psychotherapie dem Betroffenen
dazu verhelfen, die adäquate individuelle Lösung für sein
spezifisches Identitätsproblem zu finden. Sie soll eine Bearbeitung
relevanter psychischer Probleme des Patienten ermöglichen.
Bezüglich des transsexuellen Wunsches müssen vor der Einleitung
organmedizinischer Maßnahmen zumindest folgende Kriterien gegeben
sein:
-
die innere Stimmigkeit und Konstanz des Identitätsgeschlechts und
seiner individuellen Ausgestaltung;
-
die Lebbarkeit der gewünschten Geschlechtsrolle;
-
die realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen somatischer
Behandlungen.
3.1 Qualifikation des Therapeuten
Der Therapeut muß psychodiagnostische, psychopathologische und psychotherapeutische
Kompetenzen durch eine entsprechende Ausbildung erworben haben und mit
den Problemen der Transsexualität auf dem aktuellen Kenntnisstand
vertraut sein.
3.2 Frequenz und Dauer der Psychotherapie
Frequenz und Dauer der Psychotherapie sollen Patient und Therapeut gemeinsam
bestimmen. Der Therapeut muß dabei die Möglichkeit haben, den
Patienten so gut kennenzulernen, daß er das Vorliegen der drei genannten
Kriterien beurteilen kann. Ist eine Indikation zur Transformationsoperation
gegeben, so soll die Psychotherapie bis zur Operation fortgesetzt werden.
Nach einer Operation wird dem Patienten eine psychotherapeutische Weiterbetreuung
empfohlen.
3.3 Psychotherapie und Indikation/Begutachtung
Der Psychotherapeut kann sich sowohl an der Indikationsstellung zur Hormonbehandlung
und zur Transformationsoperation als auch an der Begutachtung im Rahmen
des TSG beteiligen. Er kann dies aber auch aus therapieimmanenten Gründen
ablehnen. Dies soll zu Beginn der Behandlung mit dem Patienten geklärt
werden. In dem Fall, in dem der Psychotherapeut die Indikationsstellung
und/oder Begutachtung nicht übernimmt, müssen diese durch einen
anderen Arzt/Psychologen entsprechend den Standards erfolgen. Der Begriff
"Therapeut" bezieht sich im folgenden auf beide Möglichkeiten der
Indikationsstellung.
4. Standards der Indikationsstellung zur somatischen Behandlung
4.1 Indikation zur Hormonbehandlung
Vor der Indikation zur hormonellen Behandlung müssen folgende Voraussetzungen
erfüllt sein:
-
Der Therapeut kennt den Patienten in der Regel mindestens seit einem Jahr.
-
Der Therapeut hat die diagnostischen Kriterien überprüft.
-
Der Therapeut ist zu dem klinisch begründeten Urteil gekommen, daß
bei dem Patienten die drei genannten Kriterien der Psychotherapie (die
innere Stimmigkeit und Konstanz des Identitätsgeschlechts und seiner
individuellen Ausgestaltung, die Lebbarkeit der gewünschten Geschlechtsrolle
und die realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen
somatischer Behandlungen) gegeben sind.
-
Der Patient hat das Leben in der gewünschten Geschlechtsrolle mindestens
ein Jahr lang kontinuierlich erprobt (sogenannter Alltagstest).
Sind die Voraussetzungen erfüllt, erfolgt die Indikation in Form einer
schriftlichen Stellungnahme.
4.2 Indikation zur Transformationsoperation
Vor der Indikationsstellung müssen neben der Überprüfung
der Diagnose und des Vorliegens der unter 3. (Standards der Psychotherapie/psychotherapeutischen
Begleitung) genannten Kriterien folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
-
Der Therapeut kennt den Patienten in der Regel mindestens seit eineinhalb
Jahren.
-
Der Patient hat das Leben in der gewünschten Geschlechtsrolle mindestens
seit eineinhalb Jahren kontinuierlich erprobt (sogenannter Alltagstest).
-
Der Patient wird seit mindestens einem halben Jahr hormonell behandelt.
Erfolgt die Indikationsstellung zur Transformationsoperation nicht durch
den Psychotherapeuten, so überzeugt sich der in diesen Fällen
hinzugezogene Therapeut/Gutachter, daß die oben genannten Voraussetzungen
erfüllt sind und die Psychotherapie stattgefunden hat.
Die Indikationsstellung zu einer Transformationsoperation muß
in Form einer gutachterlichen Stellungnahme durch einen qualifizierten
Therapeuten erfolgen.
Diese muß folgende Punkte beinhalten:
-
Der Therapeut soll nachvollziehbar darstellen, daß im Behandlungsverlauf
die Diagnose Transsexualität bestätigt wurde, d.h. daß
es im Erleben zu einem stabilen Identitätsgefühl im anderen Geschlecht
und im Verhalten zu einer dauerhaften Übernahme der anderen Geschlechtsrolle
gekommen ist.
-
Der Patient soll in Erscheinungsbild, Verhalten, Erleben und Persönlichkeit
charakterisiert werden.
-
Die biographische Anamnese soll mit Schwerpunkt auf dem individuellen Gesamtverlauf
der transsexuellen Entwicklung und den ihn beeinflussenden Faktoren in
den wesentlichen Aspekten dargestellt werden (ggf. unter Einbeziehung fremdanamnestischer
Informationen).
-
Der Verlauf im Behandlungszeitraum (mit Angabe von Behandlungsdauer und
-frequenz) soll unter Bezugnahme auf die Erkenntnisse aus dem sogenannten
Alltagstest dargestellt werden. Insbesondere soll angegeben werden, wann
mit dem Alltagstest begonnen wurde , ob und wann eine Vornamensänderung
nach dem TSG beantragt oder schon erfolgt ist und zu welchen Veränderungen
es in folgenden Bereichen gekommen ist: Befinden und psychisches Gleichgewicht,
Sicherheit in der Geschlechtsrolle, Sexualität, Beziehungen zu Partnern,
Familie und Freunden, Arbeitsfähigkeit und Akzeptanz am Arbeitsplatz.
-
Die körperlichen Gegebenheiten für das Leben in der anderen Geschlechtsrolle
sollen geschildert werden. Angegeben werden soll, wie sieh die Hormonbehandlung
körperlich und psychisch ausgewirkt hat, wie der Patient die körperlichen
Veränderungen bewertet und ggf. wie der Patient mit möglichen
negativen Reaktionen der Umwelt auf sein Äußeres oder sein Verhalten
umzugehen vermag.
-
Es soll beschrieben werden, ob sich der Patient realistisch mit der Operation
und möglichen unerwünschten Folgen auseinandergesetzt hat, welche
spezifischen Erwartungen an das Operationsergebnis für den Patienten
im Vordergrund stehen (z. B. Aussehen, Funktion, Sexualität) und ob
der Wunsch nach weiteren operativen Eingriffen besteht.
-
Es soll erklärt werden, warum der Patient ohne Operation auf Dauer
unter einem größeren Leidensdruck stehen würde.
-
Es soll eine Prognose gestellt werden, wie sich die Transformationsoperation
auf die soziale Integration, Beziehungsfähigkeit. Arbeitsfähigkeit
und Selbständigkeit wahrscheinlich auswirken wird.
5. Standards der somatischen Behandlung
Hormonbehandlung und Transformationsoperation vor dem vollendeten 18. Lebensjahr
sind nur in Ausnahmefällen indiziert und bedürfen einer besonderen
Begründung.
5.1 Standards der Hormonbehandlung
-
Die Indikation zur hormonellen Behandlung, wie unter 4.1 (Indikation zur
Hormonbehandlung) beschrieben, ist unabdingbare Voraussetzung. Die Auswirkungen
dieser Behandlung sind zum Teil irreversibel (Stimmbruch, Behaarung. Hodenatrophie).
Eine zu früh begonnene Hormonbehandlung kann die Diagnostik erschweren
und eine ungünstige vorzeitige Festlegung bedeuten.
-
Die Einleitung der Hormonbehandlung und die Bestimmung der Frequenz der
Kontrollen soll durch einen endokrinologisch erfahrenen Arzt erfolgen.
Zu Beginn der Behandlung soll eine körperliche Untersuchung mit Befunddokumentation
(unter anderem zur Kontrolle des Therapieeffekts) vorgenommen werden. Zur
Beurteilung des aktuellen Tromboenbolierisikos sollen familiäre und
eigene thromboembolische Ereignisse in der Vorgeschichte des Patienten
erfaßt werden. Des weiteren soll eine Leberanamnese erhoben und die
aktuelle Leberfunktion beurteilt werden.
-
Die psychische Verträglichkeit der hormonellen Behandlung und ihrer
Auswirkungen soll geprüft werden, ebenso die dauerhafte körperliche
Verträglichkeit.
Der Patient muß über die Folgen der hormonellen Substitution
aufgeklärt werden. Er muß ferner darüber informiert werden,
daß die hormonelle Behandlung lebenslang erfolgen soll, da sonst
Schäden infolge eines hormonellen Defizits auftreten können.
Eine Einverständniserklärung wird empfohlen.
5.2 Standards der Transformationoperation
5.2.1 Voraussetzungen der Operation
-
Der Operateur muß sich davon überzeugen, daß die gutachterliche
Stellungnahme zur Indikation den Standards (siehe 4.2 Indikation zur Transformationsoperation)
entspricht.
-
Der Operateur soll durch die körperliche Untersuchung die technische
Durchführbarkeit des Eingriffs im speziellen Fall feststellen. Genitale
Fehlbildungen sind kein Ausschluß kriterium, sie sollen in das operative
Konzept integriert werden. Die Operabilität muß unter allgemeinmedizinischen
Kriterien gegeben sein.
-
Vor der Operation soll in allen Fällen eine für Mann-zu-Frau-
und Frau-zu-Mann-Transsexuelle unterschiedliche Einverständniserklärung
vorliegen, in der die Art der Behandlung sowie die Folgen und die möglichen
Komplikationen ausführlich erklärt werden. Notwendig ist auch
eine mündliche Aufklärung, die sich auf die Operation selbst
und ihre Irreversibilität, die Folgen der Gonadektomie und die Notwendigkeit
der dauerhaften hormonellen Substitution bezieht.
5.2.2 Empfehlungen für die Frau-zu-Mann-Transformationsoperationen
Die Ziele der Operationen bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen sind unterschiedlich:
-
Brustplastik: Bei kleinen Brüsten subkutane Mastektomie mit Mamillenreduktion,
bei großen Brüsten Mastektomie mit freier Retransplantation
der verkleinerten Mamille.
-
Hysterektomie mit Exstirpation der Adnexe, wobei von vaginal auch die Scheide
mit entfernt werden kann.
-
Operationen am äußeren Genitale haben noch nicht zu einem Standardkonzept
geführt. Die Techniken der Peniskonstruktion und der Implantation
von Surrogat-Hoden sind noch im Erprobungsstadium. Deshalb sind individuelle
Lösungen indiziert.
5.2.3 Empfehlungen für die Mann-zu-Frau-Transformationsoperation
Die Ziele der Operation bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen sind die Amputation
des Penisschafts und der Hoden und die Bildung von Vulva, Klitoris und
Vagina.
Anders als bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen kann für die Transformationsoperation
eine Standardmethode empfohlen werden:
Die Bildung einer Neovagina durch Implantation der invertierten Penishaut.
Dabei ist darauf zu achten, daß eine ausreichende Tiefe der Vagina
erreicht wird (z.B. durch Durchtrennung der Denonvillierschen Faszie).
Die Operierten müssen darüber aufgeklärt werden, daß
auch bei gutem Operationserfolg für die Funktionsfähigkeit der
Scheide regelmäßiges Bougieren nach der Operation unerläßlich
ist.
-
Die Auskleidung der Neovagina mit Penoskrotallappen sollte nicht durchgeführt
werden, da diese Methode zu einer behaarten Vagina führt.
-
Die Auskleidung der Neovagina mit freitransplantiertem Epidermislappen
oder Darmscheiden sollte wegen unbefriedigender Ergebnisse und erhöhtem
Risiko nur bei Komplikationen angewendet werden, speziell nach Schrumpfung
oder bei fehlender Tiefe.
-
Führt die hormonelle Behandlung nicht zu einer ausreichenden Gynäkomastie,
kann eine Mammaaugmentationsplastik indiziert sein.
-
Die Veränderung des männlichen Haarbalgverteilungsbildes ist
nur durch Entfernung der Haarwurzeln (Epilation) möglich. Diese Methode
ist deshalb in vielen Fällen indiziert; die Epilation kann schon während
der hormonellen Behandlung begonnen werden.
Andere operative Eingriffe (z.B. Nasenplastiken, Facelifting, Stimmbandverkürzung)
werden nach der Transformationsoperation immer wieder angestrebt, gelten
jedoch nicht als Standard.
6. Standards der Begutachtung nach dem Transsexuellengesetz
Die Gutachten zur Vornamensänderung und zur Personenstandsänderung
müssen nach den Bestimmungen des TSG erstellt werden. Der Gutachter
muß wissen, daß die Begutachtung zur Vornamensänderung
(§1) bei weitem konsequenzenreicher ist (Mißbrauch zur Operationserlangung)
als die Begutachtung zur Personenstandsänderung (§ 8) nach erfolgter
Transformationsoperation.
6.1 Begutachtung nach § 1 TSG
Das Ziel der Begutachtung ist es, die Entwicklung der Geschichte der Geschlechtsidentität
und ihrer Störung (unter Vergegenwärtigung der Besonderheiten
von Mann-zu-Frau- und Frau-zu-Mann-Transsexuellen) im psychosozialen Umfeld
mit seinen jeweiligen Einflußfaktoren in den aufeinanderfolgenden
Lebensphasen nachzuzeichnen. Der Gutachter soll sich, wenn erforderlich,
zusätzliche Informationen beschaffen, unter denen Angaben wichtiger
Bezugspersonen (Fremdanamnese) und psychologisch-medizinische Befunde besondere
Bedeutung haben. Das Gutachten muß sich an den Standards der Diagnostik
und Differentialdiagnostik (siehe 2.1 und 2.2) orientieren und diese ausführlich
zur Darstellung bringen. Die Beurteilung soll wissenschaftlich begründet
sein und eine kritische informationsverarbeitende Diskussion einschließen.
Eine Zusammenfassung des Probanden- bzw. des Patientenberichts über
subjektives Empfinden oder die Wiedergabe der Selbstinterpretation seines
Lebenslaufes allein ist keine gutachterliche Urteilsbildung. Ebenso wichtig
wie die Einfühlung in die Subjektivität der transsexuellen Überzeugung
ist die kritische Aufmerksamkeit für objektivierbare Aspekte des Verhaltens.
Das Vorliegen der Voraussetzungen zur Vornamensänderung muß
aus der Beurteilung schlüssig hervorgehen. Die im TSG genannten Voraussetzungen
sind folgendermaßen zu interpretieren:
-
Transsexuelle "Prägung" ist nicht verhaltensbiologisch zu verstehen,
sondern als schrittweise und mehrfaktorielle Entwicklung der Transsexualität,
die rekonstruierend bewertet werden muß.
-
Der mindestens dreijährige "Zwang" bedeutet die Unmöglichkeit,
sich mit dem Geburtsgeschlecht zu versöhnen, und die anhaltende innere
Gewißheit (deren Konstanz möglichst aus dem Verlauf des sogenannten
Alltagstests zu bewerten ist), dem anderen Geschlecht anzugehören.
-
Die "hohe" Wahrscheinlichkeit der Unveränderbarkeit des Zugehörigkeitsempfindens
zum anderen Geschlecht bezieht sich auf den derzeitigen medizinischen Wissensstand
und ist zu prognostizieren aus den diagnostischen, anamnestischen und lebenssituativen
Belegen für eine irreversible transsexuelle Entwicklung.
Wenn die Begutachtung zu dem Ergebnis führt, daß die Voraussetzungen
nicht erfüllt sind, soll dies benannt und ggf. eine Nachbegutachtung
vorgeschlagen werden.
Die gutachterliche Empfehlung, dem Antrag auf Vornamensänderung
gemäß § 1 TSG zu entsprechen, ist keine Indikation für
eine somatische Behandlung. Dies soll in der Beurteilung klar und deutlich
zum Ausdruck gebracht werden. Allerdings eröffnet § 4 TSG die
Möglichkeit, im Rahmen prognostischer Erwägungen zur Indikation
bzw. Kontraindikation somatischer Behandlungen Stellung zu nehmen.
6.2 Begutachtung nach § 8 TSG
Bei der Begutachtung zur Personenstandsänderung im Sinne des §
8 TSG ist zu klären, ob die Kriterien nach § 1 vorliegen (siehe
6.1 Begutachtung nach § 1 TSG), eine dauerhafte Unfruchtbarkeit gegeben
und "eine deutliche Annäherung an das körperliche Erscheinungsbild
des anderen Geschlechts" erzielt worden ist. Die Erfüllung der letztgenannten
Voraussetzung richtet sich nach dem Stand des medizinischen Wissens (siehe
5.2 Standards der Transformationsoperation) und der Rechtsprechung.
Für die redaktionelle Unterstützung bei der Erarbeitung
dieser Standards danken die Autoren Bärbel Kischlat-Schwalm.
Anmerkung
Mit "der Patient" ("der Therapeut", "der Gutachter") ist hier und im
folgenden stets auch "die Patientin" ("die Therapeutin", "die Gutachterin")
gemeint. Der Einfachheit halber wird jedoch durchgehend das männliche
Personalpronomen verwendet.
Anschrift der Autoren:
Dipl.-Psych. Sophinette Becker, Klinikum der J. W. Goethe-Universität
Frankfurt am Main, Institut für Sexualwissenschaft, Theodor-Stern-Kai
7, 60590 Frankfurt am Main
Priv.-Doz. Dr. med. Hartmut A. G. Bosinski, Klinikum der Christian-Albrechts-Universität
Kiel, Sexualmedizinische Forschungs- und Beratungsstelle, Arnold-Heller-Str.
12, 24105 Kiel
Priv.-Doz. Dr. phil. Ulrich Clement, Institut für systemische
Forschung, Kußmaulstr. 10, 69120 Heidelberg
Prof. Dr. med. Wolf Ficher, Diakonissenkrankenhaus, Frauenklinik,
Speyerer Str. 91-93, 68163 Mannheim
Dr. med. Thomas M. Goerlich, Universität Leipzig, Klinik ftir
Anästhesiologie und Intensivtherapie, Liebigstr. 20, 04080 Leipzig
Prof. Dr. rer. biol. hum. Uwe Hartmann, Medizinische Hochschule
Hannover, Arbeitsbereich Klinische Psychologie, Abteilung Klinische Psychiatrie
und Psychotherapie, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
Prof. Dr. med. Götz Kockott, Klinikum rechts der Isar, Psychiatrische
Klinik und Poliklinik der Technischen Universität, Ismaninger Str.
22, 81675 München
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Dieter Langer, Medizinische Hochschule
Hannover, Zentrum für Psychologische Medizin, Carl-Neuberg-Str. 1,
30625 Hannover
Dr. med. Wilhelm F. Preuss, Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf,
Abteilung für Sexualforschung, Martinistr. 52, 20246 Hamburg
Prof. Dr. phil. Gunter Schmidt, Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf
Abteilung für Sexualforschung, Martinistr. 52, 20246 Hamburg
Prof. Dr. med. Alfred Springer, Ludwig-Boltzmann-Institut, Salztorgasse
6/5/8, A-1010 Wien
Prof. Dr. med. Dr. jur. Reinhard Wille, Klinikum der Christian-Albrechts-Universität
Kiel, Sexualmedizinische Forschungs- und Beratungsstelle, Arnold-Heller-Str.
12, 24105 Kiel