TRANSSEXUELL - in Österreich  

Montag, 07.30 Uhr :
Dr. Peter S. betritt seine Station in einem Provinzkrankenhaus. Die Routinearbeit beginnt. Blutabnahmen müssen durchgeführt, Untersuchungen angemeldet und neue Patienten exploriert werden. Danach wartet die Morgenbesprechung.
16.00 Uhr :
Nach Visiten, Besprechungen und Befundauswertungen geht Dr. Peter S. nach Hause.
Er muß sich beeilen, weil er an diesem Tag  noch nach Wien fahren möchte.
21.00 Uhr :
Peter S. betritt einen Gruppenraum in der "Rosa - Lila - Villa" in Wien, um sich dort mit Freunden zu treffen. Sie hat ein gemeinsames Problem zusammengeführt :
Peter S. ist transsexuell.

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     So wie Peter S. versehen viele Transsexuelle als Beamte, Angestellte, Gewerbetreibende usw. ihren Dienst in der Gesellschaft. Oft merkt ihre Umgebung lange Zeit nicht, daß es sich bei ihnen um Transsexuelle handelt. Häufig sehen sie sich aber mit Unverständnis, Ablehnung und Widerständen konfrontiert. Jedoch : transsexuell zu sein, kann man sich nicht aussuchen - man ist es oder man ist es nicht.
Transsexuell - was ist das eigentlich ?
    Die Betroffenen schildern Transsexualität als das Empfinden, seelisch dem anderen, nicht dem eigenen biologischen, Geschlecht zuzugehören. Damit verbunden ist ein oft sehr starker Leidensdruck und der Wunsch, durch entsprechende medizinische Maßnahmen dem "psychischen" Geschlecht körperlich so ähnlich wie möglich zu werden.

    Die Definition von Transsexualität wirft seit Jahrzehnten Probleme auf, vor allem, weil es bis heute keine einheitlichen Vorstellungen zur Ätiologie dieses Phänomens gibt. Deshalb orientierten und orientieren sich die diagnostischen Kriterien rein an Symptomen. In den gängigen "Krankheitsklassifikationen" erfuhr die Definition der Transsexualität mehrmals Veränderungen. Zur Zeit wird Transsexualität im "DSM IV" ("Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders", American Psychiatric Association)  folgendermaßen definiert :
 
    A : Eine starke und anhaltende gegengeschlechtliche Identifikation.
    B : Anhaltendes Unbehagen mit dem eigenen biologischen Geschlecht oder das Gefühl von Unstimmigkeit in der zugeschriebenen Geschlechtsrolle.
    C : Keine körperliche Intersexualität vorliegend.
    D : Die Störung führt zu klinisch signifikantem Distress oder zu Funktionsbeeinträchtigungen  in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Lebensbereichen.

    Im "ICD 10" ist nachzulesen ("International Classification of Diseases") : "Es besteht der Wunsch, als Angehöriger des anderen anatomischen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden. Dieser geht meist mit dem Gefühl des Unbehagens oder der Nichtzugehörigkeit zum eigenen Geschlecht einher. Es besteht der Wunsch nach hormoneller und chirurgischer Be-handlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht so weit wie möglich anzugleichen.
    Diagnostische Leitlinien : Die transsexuelle Identität muß mindestens 2 Jahre durchgehend bestanden haben und darf nicht ein Symptom einer anderen psychischen Störung, wie z. B. einer Schizophrenie, sein. Ein Zusammenhang mit intersexuellen, genetischen oder geschlechtschromosomalen Anomalien muß ausgeschlossen sein."
    Formell am besten erscheint mir folgende Definition : Transsexualismus stellt eine dauerhafte totale Transposition der Geschlechtsidentität dar (Eicher, "Transsexualismus", S. 16 f., 2. Auflage, Fischer 1992).
    All diese Kriterien treffen gleichermaßen auf Mann - zu - Frau - Transsexuelle (MF-TS) wie auf Frau - zu - Mann- Transsexuelle (FM-TS) zu.

 Wenn ein Mensch durch seine Empfindungen, Erlebensweisen und entsprechende Informationen zu der Überzeugung kommt, transsexuell zu sein, beginnt für ihn / sie ein steiniger Weg : Da es in Österreich kein eigenes Gesetz für Transsexuelle gibt, beschränken sich Anhaltspunkte bezüglich Therapie hauptsächlich auf Richtlinien, welche vom Obersten Sanitätsrat der Republik herausgegeben wurden. In diesen werden unter anderem zu Beginn eine psychiatrische Diagnosestellung sowie eingehende urologische bzw. gynäkologische und, bei Bedarf, endokrinologische Untersuchungen gefordert. Dann hat sich der / die Betroffene einer nicht näher definierten Psychotherapie zu unterziehen, wobei von therapeutischer Seite nach frühestens einem Jahr eine Stellungnahme abzugeben ist, ob im gegebenen Fall wirklich Transsexualität vorliegt. Sodann erfolgt ein neuerlicher Termin beim Psychiater. Wenn die Betroffenen all dies absolviert haben, erhalten sie Zugang zur Hormontherapie, bei welcher "gegengeschlechtliche" Hormone zugeführt und "eigene" unterdrückt werden. Gleichzeitig sollte der sogenannte "Alltagstest" beginnen, bei dem die betroffene Person mindestens ein Jahr lang in der Rolle des gewünschten Geschlechts leben sollte, und zwar sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. Die begonnene Psychotherapie sollte während dieser Zeit kontinuierlich weiterlaufen.

    Wurde dieses Jahr erfolgreich absolviert und hat die Hormontherapie entsprechende Wirkung am Äußeren gezeigt, kann nach neuerlichem Gang zum Psychiater und nochmaliger urologischer / gynäkologischer Untersuchung ein abschließendes Gutachten beim Institut für Gerichtsmedizin in Wien beantragt werden, welches in der Regel für die Übernahme der Kosten für die "geschlechtsangleichende" Operation durch die Krankenkasse benötigt wird. Damit bewaffnet können sich Transsexuelle an einen Chirurgen wenden, um nach entsprechender Beratung und Aufklärung einen OP-Termin zu vereinbaren.

    Nicht jede(r), der / die glaubt, transsexuell zu sein, sein Geschlecht wechseln zu müssen und sich an eine öffentliche Stelle um Hilfe wendet, ist auch wirklich transsexuell. Von den begutachtenden Psychiatern sind bestimmte Krankheitsbilder und Syndrome auszuschließen, bevor die Diagnose "Transsexualität" gestellt werden darf :
    1.: Psychosen (Schizophrenie),
    2.: Transvestitismus,
    3.: effeminierte bzw. virilisierte ("verweiblichte" bzw. "vermännlichte") Homosexualität (eine Gegengeschlechtlichkeit vortäuschend),
    4.: Intersexualität ( nicht einheitlich als Ausschlußkriterium definiert ). Bei diesen Erscheinungsformen würden Hormontherapie und Operation keine Veränderung der Grundproblematik bewirken und einen ärztlichen Kunstfehler darstellen.

    Die operative Therapie wirft natürlich geschlechtsspezifisch unterschiedliche Problematik auf. Bei MF-TS  werden dabei die Hoden entfernt, im Dammbereich eine Höhle für eine Neovagina geschaffen und die Penishaut nach Entfernen der Schwellkörper umgestülpt und zur Auskleidung der Neovagina verwendet. Häufige Komplikationen stellen hoher Blutverlust, Abstoßung eines Teiles der auskleidenden Penishaut und Verwachsung (Verschluß) der Neovagina dar. Auch das kosmetische Ergebnis ist oft unbefriedigend. Entwickelt sich durch die Hormongabe keine ausreichende Gynäkomastie, kann die Brust zur Angleichung an weibliche Formen operativ vergrößert werden.

    Schwieriger gestaltet sich die Operation bei FM - TS. In mehreren " Sitzungen " werden die Drüsenkörper der Brüste entfernt und die Brustwarzen verkleinert sowie die inneren weiblichen Geschlechtsorgane entfernt und die Vagina verschlossen. Große Probleme bereitet zur Zeit noch der Aufbau eines künstlichen Penis aus Roll - oder Schwenklappen der Bauch- decke, der Oberschenkel oder der Unterarme, da einerseits die "Penoide" häufig nicht entsprechend einheilen und abgestoßen werden und andererseits mit diesen eine ausreichende Steifheit zum Geschlechtsverkehr kaum erzielbar ist. Viele FM - TS verzichten daher auf einen Penisaufbau.

    Nach erfolgter Operation kann die Personenstandsänderung behördlich beantragt werden, welche am (vorläufigen) Ende des Weges die Anerkennung der Betroffenen im neuen Geschlecht durch den Staat bedeutet.
    Transsexuelle unterscheiden sich in vielen Belangen des täglichen Lebens nicht wesentlich von der übrigen Bevölkerung. Im sexuellen Bereich sind alle Ausrichtungen vertreten ( Nachuntersuchung an 50 operierten MF-TS : 65 % hetero-, 20 % bisexuell, 12,5 % lesbisch (Eicher, s.o., S.148)). Affinität zum eigenen biologischen Geschlecht gilt laut Definition als heterosexuelles, zum anderen als homosexuelles bzw. lesbisches Geschlechtsverhalten.

    In der Vergangenheit fand häufig eine grundsätzliche psychische Pathologisierung von Transsexuellen in der psychotherapeutischen ( und besonders in der psychoanalytischen ) Literatur statt. Pfäfflin meint dazu : "Die bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der in einem Teil der klinischen Literatur besonders akzentuierten Psychopathologie von TS - Patienten und der weitgehenden Normalität von deren Selbstdarstellungen, wenn sie einmal die Behandlung abgeschlossen hatten, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, daß Kliniker einzelne, besonders markante psychopathologische Verläufe auf die Gesamtgruppe von TS - Patienten projizierten." (Pfäfflin, "Transsexualität", S. 98, Enke 1993)

    Transsexuell zu sein, bedeutet, einen langen Leidensweg beschreiten zu müssen, vom Begreifen dessen, was in einem vorgeht, bis man in der Lage ist, sich selbst in seiner Eigenheit zu akzeptieren, über private (drohender Verlust des Freundeskreises, Schockierung der eigenen Familie, Scheidung, Streit um Besuchsrecht für die eigenen Kinder ) und berufliche Probleme (Verlust des Arbeitsplatzes, Mobbing, schwere Vermittelbarkeit), Schwierigkeiten beim Kontakt mit Behörden (bei Amtswegen, Führerscheinkontrollen ) und Krankenkassen (unterschiedliche Praxis der Kostenübernahme bei einzelnen Kassen) bis zur Etablierung in der neuen Rolle nach der Operation (Kontakt zum ehemaligen sozialen Umfeld, wieviel kann man neuen Partnern erzählen, ohne sie gleich wieder zu verlieren). Ohne sorgfältige Vorbereitung durch die erwähnte Psychotherapie ist dies alles kaum zu bewältigen. Die Rate versuchten und ausgeführten Selbstmordes unter Transsexuellen ist dementsprechend weltweit außerordentlich hoch.
 
(c) 1998 by Angelika S.
dieser Artikel ist in der Zeitschrift :
 " die gezeit ", Zeitschrift der Fakultätsvertretung Geisteswissenschaften, Nr.1/ Februar 1998, erschienen.
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