FDP Stellt im Bundestag Antrag auf Änderung des TSG | |
30.05.2008 - 08:14, www.fdp-fraktion.de | |
Deutscher Bundestag Drucksache 16/ 16. Wahlperiode Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Jörg van Essen, Christian Ahrendt, Hartfrid Wolff, Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Heinrich Kolb, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Ina Lenke, Markus Löning, Jan Mücke, Burkhard Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Marina Schuster, Florian Toncar, Dr. Volker Wissing, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP Reform des Transsexuellengesetzes für ein freies und selbstbestimmtes Leben Der Bundestag wolle beschließen: I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Am 1.Januar 1981 ist das Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG) in Kraft getreten. Das Gesetz sieht vor, dass auf Antrag der Betroffenen entweder nur deren Vornamen geändert werden (sog. kleine Lösung), oder dass festgestellt wird, sie seien als dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen mit der Folge, dass sich ihre vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten künftig allgemein nach dem neuen Geschlecht richten (sog. große Lösung). Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor entschieden, dass es die Menschenwürde und das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gebieten, „die Angabe des männlichen Geschlechts eines Transsexuellen im Geburtenbuch jedenfalls dann zu ändern, wenn es sich nach den medizinischen Erkenntnissen um einen irreversiblen Fall von Transsexualismus handelt und eine geschlechtsanpassende Operation durchgeführt worden ist“ (BVerfG v. 11. Oktober 1978 – 1 BvR 16/72). Das TSG ist seit Inkrafttreten nicht mehr grundlegend geändert worden. Mittlerweile ist unumstritten, dass die Erkenntnisse, die Grundlage des TSG waren, heute überholt und widerlegt sind. Auch das Bundesverfassungsgericht vertritt diese Auffassung. Die dem TSG zugrunde liegenden Annahmen über die Transsexualität haben sich inzwischen in wesentlichen Punkten als wissenschaftlich nicht mehr haltbar erwiesen, so das Gericht (BVerfG v. 6. Dezember 2005 – 1 BvL 3/03). Auch die Bundesregierung hat eingeräumt, dass sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Transsexualismus seit Erlass des TSG weiter entwickelt haben (BT-Drs. 16/8327). Das Bundesverfassungsgericht führt in seiner Entscheidung weiter aus, dass die These vom Durchgangsstadium, in dem sich der Transsexuelle mit „kleiner Lösung“ hin zur „großen Lösung“ befinde, nicht mehr tragfähig sei. Darüber hinaus sei inzwischen nicht nur bekannt, dass es Homosexualität auch bei Transsexuellen gebe, sondern es sei nachgewiesen, dass es selbst bei Transsexuellen mit Geschlechtsumwandlung eine nicht unerhebliche Zahl von gleichgeschlechtlich Orientierten gebe. In einer weiteren Entscheidung stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass sich die Zuordnung eines Menschen zu einem Geschlecht nicht allein nach seinen physischen Geschlechtsmerkmalen bestimmt, sondern wesentlich auch von seiner psychischen Konstitution und seiner nachhaltig selbst empfundenen Geschlechtlichkeit abhänge. (BVerfG- v. 18. Juli 2006 – 1 BvL 1/04, 1 BvL 12/04). Bereits 1989 hat das Europäische Parlament eine Entschließung zur Diskriminierung von Transsexuellen verabschiedet. Darin hat das Europäische Parlament seine Überzeugung darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Würde des Menschen und das Persönlichkeitsrecht das Recht beinhalten, ein Leben entsprechend der geschlechtlichen Identität führen zu können. 2000 hat das Bundesministerium des Innern Stellungnahmen von Betroffenen, Behörden der Länder, Verbänden und Sachverständigen erbeten über ihre Erfahrungen mit dem TSG und dem aus ihrer Sicht wünschenswerten Regelungsbedarf. Die Auswertung der Stellungnahmen (BT-Drs. 16/8327) zeigte, dass mehrheitlich gefordert wird, an der Zweiteilung des Verfahrens (Vornamensänderung und Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit) festzuhalten. Überwiegend wurde eine Verkürzung des Verfahrens, insbesondere zur Vornamensänderung durch eine Verbesserung des Gutachterwesens, für notwendig erachtet. Übereinstimmend wurde die Funktion des Vertreters des öffentlichen Interesses für entbehrlich gehalten. Dringend reformbedürftig ist aus Sicht der Betroffenen die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit. Die Verpflichtung zur Ehelosigkeit, die Voraussetzung der dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit sowie der geschlechtsanpassenden Operation werden überwiegend als Grundrechtsverstöße angesehen und empfunden. Eine grundlegende Reform des TSG ist den vergangenen Jahren immer wieder gefordert worden. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in mehreren Entscheidungen mit dem TSG befasst und dabei einige Regelungen für verfassungswidrig angesehen. Bereits mit Beschluss vom 16. März 1982 hat das Bundesverfassungsgericht die Altersgrenze von 25 Jahren für die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit für nichtig erklärt und aufgehoben (1 BvR 938/81). 2005 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass § 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, solange einem homosexuell orientierten Transsexuellen ohne Geschlechtsumwandlung eine rechtlich gesicherte Partnerschaft nicht ohne Verlust des geänderten, seinem Geschlecht entsprechenden Vornamens eröffnet ist (BVerfG v. 6. Dezember 2005 – i BvL 3/03). Das Gericht hat ausgeführt, dass die Wahl des Vornamens verfassungsrechtlich geschützt ist einerseits als Mittel zur Identitätsfindung und Entwicklung der eigenen Individualität und andererseits als Ausdruck der erfahrenen oder gewonnenen geschlechtlichen Identität. Eine Reaktion des Gesetzgebers auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist bislang nicht erfolgt. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass eine Anpassung von § 7 TSG im Rahmen einer Reform des TSG erfolgen solle (BT-Drs. 16/8327). 2006 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG gegen das Gleichbehandlungsgebot in Verbindung mit dem Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit verstößt, soweit er ausländische Transsexuelle, die sich rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, von der Antragsberechtigung zur Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit ausnimmt, sofern deren Heimatrecht vergleichbare Regelungen nicht kennt (BVerfG. V. 18.Juli 2007 – 1 BvL, 1 BvL 12/04). Eine entsprechende Änderung von § 1 TSG hat der Gesetzgeber bereits vorgenommen (BGBl I 2007 Nr. 35 27.07.2007 S. 1566). II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Reform des Transsexuellengesetzes in den Deutschen Bundestag einzubringen. Der Gesetzentwurf soll insbesondere folgende Regelungen enthalten: - An der Zweiteilung des Verfahrens (Vornamensänderung und Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit) wird festgehalten. Die Möglichkeit der Wahl zwischen der Änderung des Vornamens und des Personenstandes ist Ausdruck des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts. Die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) hat in ihrer Stellungnahme vom Dezember 2000 an das Bundesministerium des Innern ausgeführt, das die Zweiteilung des Verfahrens den Betroffenen ermöglicht, in ihrem Wunschgeschlecht zu leben, bevor sie sich eingreifenden medizinischen Maßnahmen unterzogen haben bzw. unabhängig davon, wann und in welchem Umfang sie dies tun; - Auf den Vertreter des öffentlichen Interesses gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 TSG wird verzichtet. Dadurch ist eine Beschleunigung des Verfahrens zu erwarten; - Es ist zu prüfen, ob auf die Drei-Jahresfrist in § 1 Abs. 1 TSG verzichtet werden kann; - Abweichend von § 4 Abs. 3 TSG reicht künftig für die Vornamensänderung das Gutachten eines Sachverständigen aus. Das Verfahren zur Begutachtung ist oft der Grund, warum sich die Verfahren insgesamt in die Länge ziehen. Sollte das Gericht im konkreten Verfahren zur Entscheidung über den Antrag nach § 1 TSG weitere Informationen benötigen, ist es ihm aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit unbenommen, ein weiteres Gutachten anzufordern; - Auch bei einer nachträglichen Elternschaft behält der Antragsteller seinen geänderten Vornamen. § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 TSG werden gestrichen; - Bei einer Eheschließung behält der Namensträger seinen geänderten Vornamen. Das Bundesverfassungsgericht hat die entsprechende Vorschrift in § 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG für mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt. Solange der Gesetzgeber keine Regelung getroffen hat, die es einem homosexuell orientierten Transsexuellen ohne Geschlechtsumwandlung ermöglicht, eine rechtlich gesicherte Partnerschaft ohne Vornamensverlust einzugehen, hat das Bundesverfassungsgericht angeordnet, dass § 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG nicht angewendet werden darf. Danach können die Betroffenen bereits heute ohne Verlust der Vornamensänderung heiraten. Das Gericht hat dem Gesetzgeber empfohlen, § 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG ersatzlos zu streichen; - Es ist zu prüfen, ob der Prognosezeitraum in § 8 Abs. 1 TSG verkürzt werden kann; - Es ist zu prüfen, ob für die Änderung des Geschlechtseintrages die Anforderungen an die Begutachtung abgesenkt werden können. Insbesondere ist daran zu denken, für das Verfahren gemäß § 9 TSG die Begutachtung durch nur einen Sachverständigen vorzusehen; - § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG (Erfordernis der Ehelosigkeit) wird so gefasst, dass die Umwandlung der Ehe in eine Eingetragene Lebenspartnerschaft und umgekehrt ermöglicht wird. Die Auflösung der Lebensgemeinschaft bedeutet für die Partner einen unzumutbaren Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht. Darüber hinaus fehlt es in der Regel an einem „Scheitern“ der Ehe gemäß § 1565 BGB, da die Partner ihre Lebensgemeinschaft ja gerade nicht auflösen wollen. Zu § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG ist derzeit ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Damit für die Partner die Umwandlung nicht mit einem Verlust von Rechten verbunden ist, hat die Bundesregierung zugleich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Rechte und Pflichten von Lebenspartnern in ein ausgewogenes Verhältnis bringt. Dazu sind insbesondere Änderungen im Steuerrecht, Beamtenrecht und im Adoptionsrecht notwendig; - Auf das Erfordernis der dauernden Fortpflanzungsfähigkeit in § 8 Abs. 1 Nr. 3 TSG wird verzichtet. § 8 Abs. 1 Nr. 3 TSG zielt darauf ab, ein Auseinanderfallen von erstrebtem Geschlecht und Geschlechtsfunktion zu vermeiden (BT-Drs. 14/9837). Mit der Einführung der Stiefkindadoption durch gleichgeschlechtliche Paare hat sich der Gesetzgeber von dieser Zielsetzung bereits entfernt. Das klassische Rollenbild innerhalb einer Familie, von dem das TSG 1980 noch ausgegangen ist, kann so heute nicht mehr aufrecht erhalten werden. Die Reduzierung des Geschlechts auf eine rein biologische Funktion verkennt, dass Transsexualität in erster Linie ein Problem der Geschlechteridentität und der Geschlechtsrolle ist; - Der geschlechtsverändernde operative Eingriff (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 TSG) ist keine zwingende Voraussetzung für eine Personenstandsänderung. Die DGfS hat darauf hingewiesen, dass die „deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts“ auch ohne maximale chirurgische Eingriffe an den äußeren Geschlechtsmerkmalen erreicht werden. Die Entscheidung, welche operativen Eingriffe vor der Personenstandsänderung durchgeführt werden, sollte sich an der individuellen Entwicklung orientieren und nicht vom TSG festgelegt werden, so die DGfS. Eine verpflichtende Operation ist ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Bei der Verabschiedung des TSG 1980 ging der Gesetzgeber noch davon aus, dass von den Transsexuellen außer der sozialen Zuordnung zum Gegengeschlecht, meist auch eine die äußeren Geschlechtsmerkmale verändernde Operation angestrebt werde (BT-Drs. 8/2947). Hier hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 6. Dezember 2005 darauf hingewiesen, dass die Fachwelt es mittlerweile auch bei einer weitgehend sicheren Diagnose „Transsexualität“ als nicht mehr richtig erachtet, daraus stets die Indikation für geschlechtsumwandelnde Maßnahmen abzuleiten. Das Bundesverfassungsgericht hat weiter ausgeführt, die Geschlechtszugehörigkeit könne nicht allein nach den physischen Geschlechtsmerkmalen bestimmt werden. Sie hänge wesentlich auch von der psychischen Konstitution eines Menschen und seiner nachhaltig selbst empfundenen Geschlechtlichkeit ab. Das Gericht hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass die Fachliteratur keine haltbaren Gründe mehr für eine unterschiedliche personenstandsrechtliche Behandlung von Transsexuellen mit und ohne Geschlechtsumwandlung mehr sieht. Das Bundesverfassungsgericht hat daher vorgeschlagen, der Gesetzgeber könne das Personenstandsrecht dahingehend ändern, dass auch ein nach gerichtlicher Prüfung anerkannter Transsexueller ohne Geschlechtsumwandlung rechtlich dem von ihm empfundenen Geschlecht zugeordnet wird. Unberührt davon bleibt die Kostentragungspflicht der Krankenkassen und anderer Leistungsträger, wenn sich Transsexuelle für einen operativen Eingriff entscheiden. Berlin, den 28. Mai 2008 Dr. Guido Westerwelle und Fraktion Link: www.fdp-fraktion.de/files/538/Antrag-ReformTranssexuellengesetz.pdf |
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3 Zugriffe | Redaktion Transgender.at |