Operationszwang für Transsexuelle Amtsmissbrauch im Innenministerium
26.01.2010 - 15:22, rklambda.at
Rechtskomitee LAMBDA: „Korruptionsstaatsanwaltschaft prüft bereits“

Die Korruptionsstaatsanwaltschaft prüft einen eklatanten Fall von
Amtsmissbrauch im Innenministerium. Der Verwaltungsgerichtshof hat den vom
Innenministerium etablierten Operationszwang für transsexuelle Frauen
wiederholt als rechtswidrig erklärt. Das BMI beharrt dennoch hartnäckig
darauf. Das Rechtskomitee LAMBDA (RKL), Österreichs Bürgerrechtsorganisation
für homo- und bisexuelle sowie transidente Frauen und Männer, fordert, die
Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Eine rechtliche Anerkennung im neuen Geschlecht gab es bis 2009, im
Gegensatz zu anderen Ländern (Spanien, Grossbritannien, Ungarn, Schweden und
Finnland), für (Mann-zu-Frau-)Transsexuelle in Österreich nur dann, wenn sie
ihre Genitalien entfernen lassen. Nicht alle transsexuellen Menschen können
jedoch diesen Operationszwang erfüllen, sei es wegen ihres Alters, ihres
Gesundheitszustandes oder ihrer sozialen Situation.

Der Operationszwang, also das Abhängigmachen des Geschlechtswechsels von
einer genitalverändernden Operation ist heute überholt und nicht mehr Stand
der Wissenschaft. Ja er wird im Gegenteil heute als Menschenrechtsverletzung
angesehen. So sprechen die im November 2006 von führenden internationalen
Menschenrechtsexpertinnen und -experten auf einer Konferenz im indonesischen
Yogyakarta entwickelten Yogyakarta-Prinzipien eine klare Sprache: „Niemand
darf, als Voraussetzung der rechtlichen Anerkennung der eigenen
Geschlechtsidentität, zu medizinischen Verfahren, einschliesslich einer
genitalverändernden Operation …, gezwungen werden“
(http://www.yogyakartaprinciples.org//).

In diesem Sinne verlangt auch der Bericht des Menschenrechtskommissars des
Europarates vom 12.12.2007, dass die rechtliche Anerkennung des
Geschlechtswechsels nicht von einer genitalverändernden Operation abhängig
gemacht wird
(https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=1225283&Site=CommDH&BackColorInternet=F/,
par. 57).

Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der
Operationszwang dem aktuellen Stand der Wissenschaft widerspricht: „Für eine
unterschiedliche personenstandsrechtliche Behandlung von Transsexuellen mit
und ohne Geschlechtsumwandlung sieht die Fachliteratur deshalb keine
haltbaren Gründe mehr“ (BVerfG, 1 BvL 3/03 vom 6.12.2005, 25, 66).

Schliesslich ist der Operationszwang auch deshalb diskriminierend, weil
Frau-zu-Mann-Transsexuelle keine genitalverändernde Operation vornehmen
müssen.

Ständige Bloßstellung oder Gefahr der Verelendung

Die Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgerichtshof wurde als Mann geboren
und lebt, nach Hormontherapien und kosmetischen Massnahmen, bereits seit
Jahren sozial integriert als Frau. Dennoch wird ihr die Annahme eines
weiblichen Vornamens verwehrt und erhält sie keine Dokumente, die ihrem
gelebten Geschlecht und ihrem äußeren Erscheinungsbild entsprechen. Das
Vorzeigen aller für das Alltagsleben wichtigen Dokumente (wie Reisepass,
Personalausweis, Meldezettel, Geburtsurkunde etc.) offenbaren ihre
Transsexualität und zwingen sie regelmäßig zum (bloßstellenden und oft
erniedrigenden) Outing. Sie trachtet daher verständlicherweise
Behördenkontakte zu meiden. Sichtet sie Polizisten wechselt sie instinktiv
die Strassenseite, um nicht in eine Polizeikontrolle und die damit
verbundenen demütigenden Situationen zu geraten. Sie fühlt sich wie eine
illegale Ausländerin im eigenen Land.

Die einzige Begründung für die Verweigerung eines weiblichen Vornamens und
entsprechender Dokumente: sie hat sich keiner Operation zur Entfernung ihrer
Genitalien unterzogen.

Eine genitalverändernde Operation kann die Antragstellerin jedoch nicht
durchführen, weil der damit verbundene langdauernde Krankenstand bei ihrer
leitenden Funktion in der Privatwirtschaft mit Sicherheit mit der Beendigung
ihres Dienstverhältnisses verbunden wäre. Der Verlust des Arbeitsplatzes
würde sie der Gefahr der sozialen Desintegration und Verelendung aussetzen.

Offener Rechtsbruch

Der Verwaltungsgerichtshof hat dem im Vorjahr Rechnung getragen und
ausgesprochen, dass ein schwerwiegender operativer Eingriff, wie etwa die
Entfernung der primären Geschlechtsmerkmale, keine notwendige Voraussetzung
für die Änderung des rechtlichen Geschlechts transsexueller Personen ist.
Die Gewährung eines weiblichen Vornamens und die Korrektur des
Geschlechtseintrags im Geburtenbuches (und damit die Ausstellung weiblicher
Ausweise und anderer Dokumente) dürfen nicht von der Entfernung von der
Genitalien abhängig gemacht werden (VwGH 27.02.2009, 2008/17/0054; VwGH
15.09.2009, 2008/06/0032; ebenso zuletzt auch der Verfassungsgerichtshof:
VfGH 03.12.2009, B 1973/08).

In Reaktion auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs hat das
Innenministerium ein psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt.
Dieses hat die manifeste und unveränderbare Transsexualität der
Beschwerdeführerin ebenso bestätigt wie dass sie seit Jahren als Frau lebt.
Einzig und allein die männlichen Genitalien sind noch vorhanden.

In offenem Widerstand gegen das Höchstgericht hat das Innenministerium in
der Folge die Vornamensänderung ebenso wie die Geschlechtskorrektur im
Geburtenbuch wieder (!) einzig und allein deshalb abgelehnt, weil die
Genitalien nicht wegoperiert wurden.

Das obwohl der Verwaltungsgerichtshof die beiden ersten Bescheide genau
deshalb aufgehoben hat, weil die Verweigerung aus diesem Grund rechtswidrig
ist. Und obwohl das Innenministerium an die Rechtsansicht des
Verwaltungsgerichtshofs gebunden ist (§ 63 Abs. 1 VwGG).

Wie eine illegale Ausländerin im eigenen Land

Diese offene Missachtung der mehr als eindeutigen gefestigten Rechtsprechung
des VwGH stellt nichts anderes dar als blanke Willkür zum Nachteil der
transsexuellen Frau, die durch den offenen Rechtsbruch jetzt nicht nur
gezwungen ist, die Kosten weiterer höchstgerichtlicher Beschwerdeverfahren
zu tragen sondern vor allem auch durch einen erheblichen weiteren Zeitraum
unter der demütigenden Diskrepanz zwischen ihrem gelebten (ihrem wahren) und
dem rechtlichen Geschlecht leiden zu müssen: wie eine illegale Ausländerin
im eigenen Land.

Sie hat den Amtsmissbrauch daher bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft
angezeigt, die den Fall bereits prüft.

„Wir fordern, dass die Verantwortlichen für diesen offenen Rechtsbruch des
Innenministeriums zur Verantwortung gezogen werden“, sagt der Präsident des
RKL und Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin Dr. Helmut Graupner,
„Eindeutiger kann ein Amtsmissbrauch nicht sein.“.

Das 1991 gegründete Rechtskomitee LAMBDA (RKL) arbeitet überparteilich und
überkonfessionell für die umfassende Verwirklichung der Menschen- und
Bürgerrechte gleichgeschlechtlich l(i)ebender Frauen und Männer. In seinem
Kuratorium vereinigt es so prominente Mitglieder wie Altbundeskanzler Dr.
Alfred Gusenbauer, NRPräs. Mag. Barbara Prammer, die vormalige
Justizministerin Mag. Karin Gastinger, den Ehrenpräsidenten der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates NRAbg.a.D. Peter Schieder,
Volksanwälting NRAbg.A.D. Mag. Terezija Stoisits, den vorm. Generaldirektor
für öffentliche Sicherheit Dr. Erik Buxbaum, die vorm. Präsidentin der
Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter Dr. Barbara
Helige, die Vizepräsidentin der Rechtsanwaltskammer Wien Dr. Elisabeth Rech,
den Vorstandsvorsitzenden der D.A.S.-Rechtsschutzversicherung Dr. Franz
Kronsteiner, den Präsidenten des Weissen Rings Dr. Udo Jesionek, den
Generalsekretär von Amnesty International Österreich Mag. Heinz Patzelt und
die bekannten Menschenrechtsexperten Dr. Lilian Hofmeister und Univ.-Prof.
Dr. Manfred Nowak, die Verfassungsexperten Univ.-Prof. Dr. Christian
Brünner, Univ-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk, Univ.-Prof. Dr. Heinz Mayer
und Univ.-Prof. Dr. Ewald Wiederin, den renommierten Kinder- und
Jugendpsychiater Univ.-Prof. Dr. Max Friedrich und die Kinder- und
JugendanwältInnen von Wien DSA Monika Pinterits und Dr. Anton Schmid, die
Sexualwissenschafter Univ.-Prof. Dr. Josef Christian Aigner, Univ.-Prof. Dr.
Rotraud Perner und Univ.-Lekt. Mag. Johannes Wahala, den Theologen
Univ.-Prof. Dr. Kurt Lüthi, Life-Ball-Organisator Gery Keszler u.v.a.m. Das
15jährige Bestehen des Rechtskomitees LAMBDA (RKL) wurde am 2. Oktober 2006
mit einem historischen Festakt im Nationalratssitzungssaal des Parlaments in
Wien gefeiert. Dieser weltweit ersten Ehrung einer homosexuellen
Bürgerrechtsorganisation in einem nationalen Parlament wohnten unter den
über 500 TeilnehmerInnen auch höchste RepräsentantInnen aus Justiz,
Verwaltung und Politik bei (http://www.rklambda.at/festakt/index.htm/).

Rückfragehinweis: 0676/3094737; 01/8766112, office@RKLambda.at
mailto:office@RKLambda.at, www.RKLambda.at www.rklambda.at/
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