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6. Rheinische Allgemeine PSYCHOtherapietage 4.-6.10.2000

Seminar am 6.10.00 von 14:00 - 15:30 Uhr

Selbstanamnese - ein therapeutisches "Werkzeug"

Setzt der Psychologe die Methode der schriftlichen Selbstanamnese ein und bringt den Patienten dazu, diese gewissenhaft durchzuführen, so hat sie vor allem einen in seiner Wirkung nicht zu unterschätzenden Vorteil (gegenüber der Anamnese auf reiner Gesprächsbasis). Der Psychologe signalisiert sein Vertrauen in den Patienten. Selbst im Schreiben ungeübte Patienten entwickeln erfahrungsgemäß erstaunliche Fähigkeiten. Im Lauf der Arbeit wird fast immer auch die Fähigkeit zur Selbstkritik und realistischen Selbsteinschätzung deutlich. Sie wird vor allem dem Patienten selbst klar.

Die Methode wird vorgestellt und soll kritisch diskutiert werden.

Das Seminar

Üblicherweise wird vom Therapeuten eine Anamnese erhoben, damit er in seiner therapeutischen Arbeit Kenntnisse erhält, die ihn davor schützen ...

a) in der Therapie von falschen Voraussetzungen auszugehen,
b) gewonnene Erkenntnisse falsch einzuordnen,
c) an den Vorgaben und Vorerfahrungen des Patienten vorbei zu arbeiten,

um nur einige Gründe zu nennen.

Vom Patienten wird die Anamnese meist als notwendiges Übel, dessen Sinn er nicht erkennt oder nicht einsehen will, betrachtet. Der Patient identifiziert sich nicht, oder nur unzureichend, mit seiner Vergangenheit, deren Vorgaben und der Entwicklung, die er durchlaufen hat. Nicht selten hören wir: "Was hat diese Vergangenheitsschnüffelei mit meinem Problem zu tun?" oder ein anderes Extrem: "Na gut, wenn der "Psycho" meint, er müsse dies alles wissen, dann fülle ich die Bögen eben aus." In beiden Fällen der genannten Grundeinstellung stehen dem Therapeuten zwar Fakten zur Verfügung, ihre Verwertbarkeit ist jedoch fragwürdig.

Einige der Hauptgründe für "Scheitern" einer Anamnese, sei es durch Gespräch oder Fragebogen, sind ...

a) die fehlende Einsicht des Patienten in ihren Sinn.
b) die formalistischen Vorgaben, die den Eindruck der Schnüffelei hervorrufen
c) die Automatik, die sich beim Therapeuten eingebürgert haben kann.
d) ...

Die schriftliche "Selbstanamnese" kann nicht nur diese Nachteile vermeiden, sondern bei exakter Durchführung, d.h. bei völliger Übertragung der Verantwortung auf den Patienten, zu einem wertvollen therapeutischen Werkzeug werden.

Einführung

Anamnese, aus dem griechischen übernommen, heißt nichts anderes als "Erinnerung". Sie wird medizinisch als Krankheitsvorgeschichte verstanden und gibt dem somatisch behandelnden Arzt wichtige Daten in die Hand, damit eine gezielte Behandlung durchgeführt werden kann, die dem Patienten in ihren Nebenwirkungen möglichst nicht schadet. Die biographische Anamnese wird von Ärzten, Psychotherapeuten und Beratern eingesetzt. Sie erwarten sich davon ein Gerüst in die Hand zu bekommen, damit sie ihr weiteres Vorgehen daran orientieren können.

Gerade im Bereich der Psychotherapie und der Lebensberatung wird dabei häufig vergessen, dass die Anamnese für den Patienten

· eine Reise zum eigenen ICH ist,
· diese Reise zum Abenteuer werden kann,
· das Abenteuer Chancen und Risiken in sich birgt,
· der Patient Lust auf diese Reise haben muss, damit er sie erlebt und nicht nur erduldet.

Steht im Vordergrund, dass die Reise zum ICH des Patienten für den Therapeuten wichtig ist, dann wird der Patient vom Subjekt zum Objekt. Lesen Sie zunächst, was ich dazu in meinem Sachbuch "Gleiche Chancen für alle" geschrieben habe.

3.3.1 Anamnese, der Weg zum ICH

Ein wichtiges Werkzeug für die Arbeit mit Transidenten ist die Anamnese. Sie ist eine Art Lebenslauf. Doch es ist ein besonderer Lebenslauf. Am besten kann er mit einem biographischen Film verglichen werden, für den es kein Drehbuch gibt.

Wird der "Filmauftrag" verschiedenen Teams gegeben, dann werden auch unterschiedliche Filme entstehen. Da sie aber die Entwicklung und das Leben des gleichen Menschen darstellen, wird sich an vielen Passagen die Frage stellen, warum unterschiedliche Betonungen entstanden sind, gleiche Vorgänge unterschiedlich bewertet werden. Erst aus dem Vergleich der verschiedenen "Filme" entsteht am Ende ein Gesamtbild.

Die Anamnese selbst muss ergebnisoffen durchgeführt werden damit sie ein tragfähiges Ergebnis liefern kann. Nur der Patient selbst kann die Anamnese durchführen, der Psychologe gibt nur Anleitungen. Glaubt der Psychologe in der entstehenden Anamnese bestimmte Dinge entdecken zu müssen, dann werden seine Anleitungen falsch sein, das Ergebnis entsprechend verzerrt. Entsteht in dem Patienten die Angst vor der Entdeckung bestimmter Dinge, dann wird ihn diese Angst hindern eine verwertbare Anamnese zu erstellen.

Gelingt es, in dem Patienten die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass er mit einer gewissen Neugier auf die Entdeckungsreise zu sich selbst geht, in dem Bewusstsein, dass er mit dem Psychologen einen sicheren Begleiter hat, der ihn bei unangenehmen Entdeckungen stützen kann, dann kann die Anamnese erfolgreich werden. Fühlt sich der Patient gedrängt, sieht er den Sinn einer Anamnese nicht, hat er Angst, entdeckte Dinge könnten gegen ihn verwendet werden, dann ist eine Anamnese nicht möglich, zumindest sehr erschwert. Wird sie trotzdem durchgeführt, quasi zwangsweise, dann ist es keine Anamnese, was zum Vorschein kommt ist praktisch nicht verwertbar. Der Psychologe darf es dann auch nicht verwerten. Tut er es trotzdem, dann verhält er sich genauso wie ein Arzt, der gegen Schmerzen Arsen spritzt.

Eine Anamnese benötigt Zeit. Der Patient muss dies wissen und akzeptieren, nicht nur erdulden. Eine Anamnese benötigt Wiederholung. Der Patient muss sich freiwillig darauf einlassen können. Eine Anamnese braucht Spielregeln. Diese müssen zwischen Psychologe und Patienten schon im Vorfeld vereinbart sein. Notwendige Abweichungen davon, im Verlauf der Entwicklung der Anamnese, müssen von beiden Seiten akzeptiert werden können. Eine Anamnese soll in jedem Fall Ergebnisse aus früheren Anamneseversuchen und Behandlungen aufgreifen. In erster Linie geht es ja darum, z.B. aus unterschiedlichen Bewertungen und Betonung ein und des selben Ereignisses aus der Vergangenheit des Patienten, Rückschlüsse auf Verdrängungen oder nicht mehr taugliche Verhaltensmuster zu ziehen. Je offener und umfassender das Ausgangsmaterial ist, um so kürzer kann die benötigte Zeit sein.

Für die Durchführung einer Anamnese gibt es verschiedene methodische Ansätze. Während der Durchführung kann die Methode nicht einfach geändert werden. Ein planloses Stochern in der Vergangenheit des Patienten ist keine Anamnese, sondern Zeitverschwendung. Der Patient wird dies erkennen, auch wenn er möglicherweise nicht in der Lage ist diese Erkenntnis auch auszusprechen. Gerade dann aber wird er abblocken. An dieser Stelle ist entweder das Ende der Zusammenarbeit von Psychologe und Patient erreicht, oder die Zusammenarbeit muss neu organisiert werden.

Leider geschehen statt dessen häufig nicht ausgesprochene Schuldzuweisungen. Der Patient denkt, der Psychologe will mich nicht verstehen. Der Psychologe verfängt sich in dem Gedanken, der Patient blockiert.

Die Anamnese erfordert von beiden Seiten, Psychologen und Patienten, eine hohe Arbeitsbereitschaft. Wird sie auf reiner Gesprächsbasis durchgeführt, dann müssen diese Gespräche aufgezeichnet, abgetippt werden und die schriftlichen Vorlagen müssen, an entsprechenden Stellen der Zusammenarbeit, vom Psychologen und Patienten gelesen werden. Dies muss jeder für sich tun können. Es muss auch ausschnittsweise gemeinsam geschehen. Unterbleibt die Aushändigung der Gesprächsprotokolle an den Patienten, dann kann der Patient gewisse Selbsterfahrungen nicht machen und in den weiteren Verlauf einbringen. Viel schlimmer aber ist, dass das Vorenthalten dieser Protokolle einerseits Misstrauen signalisiert, zum anderen aber eine gewisse Entmündigung bedeutet. Ein entmündigter Patient ist aber ein unbrauchbarer Partner.

Eine Anamnese auf Gesprächsbasis hat aber auch den Vorteil einer redundanten Gesprächstherapie. Es ist therapeutisch gesehen ein Unterschied, ob ein Patient etwas von sich und über sich schreibt oder ob er es erzählt und später nachlesen kann. Dass mit dem Gespräch auch die Kommunikationsfähigkeit geübt wird, ist ein positives "Abfallprodukt".

Setzt der Psychologe die Methode der schriftlichen Selbstanamnese ein und bringt den Patienten dazu, diese gewissenhaft durchzuführen, so hat sie vor allem einen in seiner Wirkung nicht zu unterschätzenden Vorteil. Der Psychologe signalisiert sein Vertrauen in den Patienten. Selbst im Schreiben ungeübte Patienten entwickeln erfahrungsgemäß erstaunliche Fähigkeiten. Im Lauf der Arbeit wird fast immer auch die Fähigkeit zur Selbstkritik und realistischen Selbsteinschätzung deutlich. Sie wird vor allem dem Patienten selbst klar.

Die Reise zum eigenen Ich kann bereits Erlebtes nicht verändern. Sie kann aber dazu führen, dass der Patient Alternativen erkennt, mit den gemachten Erfahrungen umzugehen. Er kann lernen mit unlösbaren Problemen, und den daraus entstehenden Schwierigkeiten, anders umzugehen. Er kann lernen Lösungen, im Wechselspiel zwischen seinen eigenen Bedürfnissen und den gesellschaftlichen Erwartungen, zu suchen und durchzusetzen. Er wird erkennen, dass die Hilfe in erster Linie von ihm ausgeht, ihm aber auch Helfer zur Seite stehen, wenn er sie benötigt. Es wird für ihn nicht mehr frustrierend sein, dass er den anderen erst "helfen" muss, damit sie in der Lage sind, ihm zu helfen.

Schriftliche Selbstanamnese

Die Spielregeln:

Der Patient erhält vom Therapeuten eine "Einladung" das "Abenteuer ICH" zu erleben und sich auf die "Reise" zu begeben. Der Therapeut muss dem Patienten klar machen, dass es auch für ihn ein Abenteuer sein wird, weil auch er nicht weiß was auf ihn, als "Reisebegleiter", zukommt. Der Therapeut erklärt zunächst die Spielregeln, nach denen die Reise schrittweise abläuft:

1. Schritt: Der Patient schreibt einen "Lebenslauf" in dem er darstellt, wie die Entwicklung seines Lebens ihn zu dem Problem/den Problemen geführt hat, wegen denen er heute therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen will. Wenn er damit fertig ist steckt er den Lebenslauf in einen Umschlag und verschließt ihn. Dann schreibt er auf den Umschlag "1. Schritt".
2. Schritt: Nach frühestens 2, spätestens 4 Wochen wiederholt der Patient die Aufgabe, schreibt also erneut diesen Lebenslauf, ohne jedoch den Erstentwurf aus dem Umschlag zu holen. Anschließend legt er ihn in einen Umschlag mit der Aufschrift "2. Schritt".
3. Schritt: Nach weiteren 2, spätestens 4 Wochen bereitet der Patient ein Blatt Papier vor auf dem er seine Eindrücke notieren soll, wenn er dann anschließend die beiden Lebensläufe miteinander vergleicht. Er soll dabei zu folgenden Fragen Stellung nehmen (Fragen an sich selbst): Wieso habe ich dieses oder jenes Ereignis zugefügt oder weggelassen, beim 2. Lebenslauf? Wieso habe ich ein Ereignis stärker betont, im 1. oder 2. Lebenslauf? Warum tauchen Personen auf oder verschwinden im Vergleich? Warum spreche ich über Gefühle bei einem Ereignis und tue dieses beim anderen Lebenslauf nicht? Die letzten Fragen sollte lauten (und beantwortet werden): Habe ich ein Stück von mir wiederentdeckt? Bin ich neugierig auf mich selbst geworden? Zum Abschluss, wenn der Vergleich dann stattgefunden hat, sollte der Patient noch niederschreiben, wie er sich jetzt, nach dem er die Arbeit getan hat fühlt.
4. Schritt: Der Patient soll nun die beiden Lebensläufe dem Therapeuten zur Verfügung stellen, (nicht aber den Vergleich, den er angefertigt hat) damit dieser sie lesen kann und selbst eine stichpunktartige Entwicklungs- und Unterschiedsanalyse durchführen kann. Der Therapeut soll sich dabei an das gleiche Schema halten, wie es dem Patienten für den dritten Schritt vorgegeben ist, inklusive der Abschlussfragen (analog eben aus der Sicht des Betrachters). Auch dieser Schritt sollte nach 2, spätestens 4 Wochen erledigt sein.

Erst wenn diese 4 Schritte des ersten Durchgangs der Selbstanamnese vollzogen sind kommt es zu einem ersten inhaltlichen Gespräch zwischen Patient und Therapeut über die Arbeit. Der Patient bekommt zu Beginn die beiden Lebensläufe in Umschlägen wieder zurück. Er bringt seinen "Vergleich" mit und händigt dem Therapeuten eine Kopie aus, dieser gibt dem Patienten eine Kopie seines Vergleichs. Für das inhaltliche Gespräch ist wichtig:

· es findet auf Augenhöhe statt.
· Gegenstand des Gespräches sind nur die beiden Vergleiche, nicht primär die Lebensläufe.
· Die Lebensläufe spielen dabei zwar eine Rolle, werden aber nicht als "Belege" hervorgeholt.
· Das Gespräch ist ergebnisoffen und hat kein vordefiniertes Ziel.
· Beide Vergleiche, die des Therapeuten und des Patienten, sind richtig. Korrigierende oder wertende Aussagen sollten unterbleiben oder wenn sie erfolgen thematisiert werden (Warum korrigiere ich?, warum werte ich, was ich oder der andere geschrieben hat?).

Entsprechend der Vorgaben im Zeitablauf kann dieses Gespräch frühestens 6 Wochen nach Beginn des ersten Durchgangs der Selbstanamnese erfolgen, sollte aber spätestens nach 12 Wochen stattfinden. Dies bedeutet aber nicht, dass in der Zeit von dem Einstieg in die Selbstanamnese bis zum ersten Gespräch darüber keine Kontakte zwischen Therapeut und Patient bestehen dürfen. Die Therapie wurde ja nicht wegen der Selbstanamnese begonnen, sondern wegen eines akuten Problems, bzw. dem Wunsch nach einer Problemlösung. Während eines Durchgangs der Selbstanamnese soll aber nicht inhaltlich über die einzelnen Schritte, sondern über Gefühle und Probleme die damit im Zusammenhang auftreten gesprochen werden, in erster Linie dann, wenn der Patient dies wünscht. Ansonsten wird die "normale" Therapie entsprechend fortgeführt. Mir ist keine Therapieform bekannt, bei der es zu einem "Kollisionskurs" mit der Selbstanamnese kam. Ich selbst habe noch keinen Fall erlebt, bei dem der Patient nach dem ersten Durchgang nicht weiter machen wollte. Immer war die Neugier auf das eigene ICH größer als die Mühe, die mit der Selbstanamnese für den Patienten verbunden ist.

In der Praxis "entfalten" sich nach 3 - 4 Durchläufen, alle nach dem selben Schema durchgeführt, Lösungsansätze wie selbstverständlich.

(Der vollständige Text "Spielregeln" kann dem Patienten auch schriftlich in die Hand gegeben werden.)

Die redundanten therapeutischen Effekte:

Der wichtigste Effekt ist zunächst, dass von Beginn an der Patient mitbekommt und auch akzeptieren kann, dass er ein gleichwertiger Partner in dem "Spiel" ist. Die offengelegten und klaren Spielregeln lassen diese Einsicht bei praktisch allen Patienten zu. Ich darf hier einige typische Patientengruppen aufzählen:

· der sich ergebende Patient, der Fremdheilung erwartet
· der blockierende Patient, der Angst vor Fremdbestimmung hat
· der therapiegeschädigte Patient, der vom Kinder-, Schul - bis Jugendtherapeuten schon alles hinter sich hat
· der Therapieprofi, der durch Ausbildung und Selbsterfahrung therapieresistent geworden ist.

Bei allen aufgezählten Gruppen wurde von mir die Erfahrung gemacht, dass sie erkennen gleichberechtigter Partner zu sein und nicht Objekt zur Befriedigung der Neugier eines Therapeuten. Diese Einsicht wirkt sich nach und nach auch auf eine parallel zur Selbstanamnese laufende Therapie aus.

Umgekehrt wirkt diese "Einsicht" der Partnerschaft sich auch direkt auf den Therapeuten aus. Der Mensch kommt zunächst als Patient zu ihm. Der Therapeut weiß, dass Vertrauen und partnerschaftliche Zusammenarbeit für den Therapieerfolg erforderlich sind. Viele Therapiemethoden sind aber so angelegt, dass dies zum Beginn der Arbeit dem Patienten nicht klar gemacht werden kann, oder für ihn eben nur sehr schwer oder nicht nachvollziehbar ist. Oft werden von Seiten des Therapeuten in dieser Richtung auch gar keine Versuche der Klarstellung unternommen. Spätestens wenn der Therapeut die Methode der Selbstanamnese einsetzt (statt Anamnesefragebogen mit nach Hause zu geben oder im Gespräch in der Kindheitsgeschichte und der Krankengeschichte der Verwandtschaft "zu bohren") wird ihm klar, dass er "auf Augenhöhe" mit dem Patienten arbeiten sollte, ihn also aus der Patientenrolle in die Partnerschaftsrolle bringen sollte. Er wird dies intuitiv sogar dann in die Praxis umsetzen, wenn er sich einer Änderung seiner Einsicht gar nicht bewusst wird.

Für den Patienten ergeben sich aber weitaus mehr, auch im therapeutischen Sinne "nützliche" Nebeneffekte:

1. Er erfährt im Laufe der Arbeit, dass gegenseitiges Vertrauen auch das Selbstvertrauen stärkt. Er erfährt dies vor allem, ohne dass es thematisiert wird. Irgend wann wird er dies selbst zum Thema machen, im Sinne dieser Selbsterfahrung.
2. Er entwickelt ein neues Zeitverständnis. Die Reise zum ICH, auch mit ihren formalen Zeitvorgaben, lässt Geduld und Ungeduld, Warten und Zeitdruck in einem neuen Licht erscheinen. Auch wenn diese Beobachtung von Mensch zu Mensch variiert, so ist doch allen mehr oder weniger gemeinsam, dass sie lernen Erinnerungen sich entwickeln zu lassen, die über Jahre entstanden sind und/oder verdrängt wurden.
3. Er erfährt, dass die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit, überwiegend von ihm übernommen, ihre Ursachen in einer Fremdbestimmung haben. Diese Erfahrung machen lernverhinderte Menschen (ich spreche bewusst nicht von Lernbehinderung, die es auch gibt) ebenso, wie akademisch gebildete Menschen.
4. Er erlebt im Laufe der Arbeit, dass die Fähigkeit zur Selbstkritik und eine realistische Selbsteinschätzung weitgehend durch Erziehung und soziale Entwicklung beeinflusst sind. Er lernt vor allem, dass es an ihm liegt wie er diese Fähigkeiten zulässt oder einsetzt.
5. Er wird selbst erfahren, dass es von einem Ereignis, das eigentlich objektiv eindeutig erfassbar und beschreibbar sein müsste, verschiedene subjektive Bewertungen gibt und dabei dann eben keine Entscheidung von "richtig oder falsch" möglich ist. Er wird selbst erkennen, dass es eine Innensicht und durchaus mehrer Außenansichten eines Ereignisses oder einer Entwicklung geben kann. Dies wird seine Kommunikationsfähigkeit, nicht nur mit dem Therapeuten, verbessern und damit ein Stück seine Lebensqualität.

Individuell kann sicher noch der eine oder andere therapeutische Nebeneffekt eintreten. Ich habe hier nur diejenigen aufgezählt, die ich praktisch in allen Fällen beobachten konnte (Basis dieser Aussagen: Im Rahmen der Behindertenarbeit von 1975-1988 - 14 Fälle; im Rahmen der Transgenderarbeit seit 1995 - 31 Fälle.)

Ergebnisse der Selbstanamnese

Die Selbstanamnese muss wertneutral und ergebnisoffen durchgeführt werden. Nur so können am Ende gemeinsam erarbeitete und akzeptierte Ergebnisse entstehen, die dann in die weitere Therapie einfließen können (oder sogar als tragfähiger Erfolg die Therapie zum Abschuss bringen).

Auch wenn ich nun abschließend mögliche Ergebnisse auflisten werde, so sollte sich der Therapeut, der die Selbstanamnese einsetzt, frei machen von eigenen Erwartungshaltungen. Er kann und darf sich vom Ausgang der Selbstanamnese ebenso überraschen lassen, wie er auch immer wieder den Patienten darin ermuntern soll neugierig auf das zu sein, was dieser über sich selbst erfährt und wie er dann damit umgehen will.

Der Patient wird, wenn sie denn vorhanden sind, auf verdrängte Ereignisse stoßen, vor allem aber auch den Hintergrund der Verdrängung erkennen, die Zusammenhänge warum es zur Verdrängung kam und vor allem die Wirkmechanismen, die er dabei gelernt hat und sicher mehrfach eingesetzt hat. Je harmloser, aus der Sicht des Therapeuten, das verdrängte Ereignis war, auf das der Patient zu sprechen kommt, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Mechanismen bei einem ganz anderen Ereignis erlernt wurden. Die Erklärungen des Patienten, warum er dieses Ereignis verdrängt hat, werden dann auch nicht schlüssig sein. Diese Erkenntnis darf aber zu keiner "dramatischen" Erwartungshaltung des Therapeuten führen. Gibt es dieses "bedeutende" Vorereignis, dann kommt der Patient selbst drauf, wenn er sich weiterhin partnerschaftlich begleitet sieht.

Der Patient wird erkennen, dass er die Fähigkeit zur Ausblendung, im Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen, überproportional entwickelt hat. Ab dem Zeitpunkt, zu dem er dies thematisiert, wird er selbst die Suche nach anderen, ausgeblendeten Ereignissen aufnehmen. In den meisten Fällen wird er diese Suche bis nahe an die Gegenwart heran führen. Sein Bild über das Zusammenspiel von Selbst und Umwelt wird sich vervollkommnen.

Der Patient wird auf die Vertauschung von Ursache und Wirkung stoßen. Er wird dies sowohl im Hinblick auf seine Sicht von Ereignissen feststellen, als auch im Hinblick auf Bewertungen von außen. Unter Umständen entdeckt er sogar Ereignisse, wo er diese Vertauschung bewusst provoziert hat und findet Hintergründe dafür.

Der Patient wird auf Ereignisse stoßen, die er bisher überbewertet hat. Diese Überbewertung kann sowohl im Sinne von Beschönigung, als auch im Sinne von Bedrohung erfolgt sein.

Der Patient ...

Der Patient lernt das "Strickmuster" seines Lebens kennen und erfährt, durch eigene Recherchen, wie er bisher damit umgegangen ist. Er entdeckt mehr oder weniger gut, wie er seine Umwelt provoziert hat in Aktion und Reaktion dieses Strickmuster immer wieder zu bestätigen. Er entdeckt Lebensabschnitte in denen es nicht nach diesem Schema ablief, erinnert sich daran, wie er damit umgegangen ist und es ihm dabei ging. Er findet auch die Auslöser, die ihn aber immer wieder ins alte "Fahrwasser" gebracht haben.

Der Patient hat die Stufe erreicht auf der

· eine Diagnose gestellt oder eine gestellte Diagnose revidiert werden kann,
· neue Wege mit dem "Strickmuster" umzugehen beschritten werden können oder
· das Strickmuster verändert werden kann.

Probleme für den Therapeuten (der diese Methode anwendet):

Eines der banalsten Probleme für den Therapeuten ist die Tatsache, dass die "schriftliche Selbstanamnese" im Abrechnungsschlüssel für anerkannte Therapieverfahren nicht enthalten ist. Mit der Frage, auf welche Art und Weise der Zeitaufwand eventuell trotzdem abgerechnet werden kann habe ich mich nie auseinander gesetzt.

Ein weiteres Problem ist, dass der Therapeut, gerade in der Anfangsphase des Einsatzes der Methode, immer wieder vom Patienten unter Druck genommen wird. Dieser Druck äußert sich in verbaler Form, Aussagen und Fragen des Patienten:

· Was soll denn dabei raus kommen, wenn ich mich darauf einlasse?
· Das wird ja ein ganzer Lebensroman, den ich da schreiben müsste.
· Ich war im Schreiben noch nie gut und weiß gar nicht wo ich anfangen sollte.
· Wieso sagen Sie nicht was Sie an meinem Lebenslauf besonders interessiert?
· Sagen Sie mir doch, was bei dem Lebenslauf besonders wichtig ist.

Spätestens nach dem 4. Schritt kommen Äußerungen und Fragen des Patienten der Form:

· Sagen Sie doch endlich, ob ich alles richtig gemacht habe.
· Wieso sagen Sie nicht, wer von uns beiden Recht hat, obwohl Sie doch ganz andere Unterschiede festgestellt haben?
· Welchen Sinn soll ein zweiter Durchgang haben, wenn Sie mir nicht sagen, was ich dann besser machen soll? ... worauf ich mehr Wert legen soll? ... was Ihrer Meinung nach fehlt? ... ?

In der Zeit, von der Aufnahme der Arbeit der Selbstanamnese bis zum ersten Gespräch über den Vergleich des Patienten und des Therapeuten, kann es immer wieder vorkommen, dass der Patient den Sinn der Arbeit hinterfragt und wissen will, was denn am Ende nun herauskommen soll. Ich kann mich aus der eigenen Praxis heraus an keinen Fall erinnern in dem der Patient sich durchgängig, im ersten und zweiten Durchlauf der Selbstanamnese, widerspruchslos damit abfinden konnte wertneutral und ergebnisoffen zu arbeiten. "Was soll dabei herauskommen außer Zeit zu schinden?" Ich hatte aber auch keinen Fall, bei dem diese Meinung aufrecht erhalten wurde. Ich hatte auch keinen Fall, bei dem die Arbeit vorzeitig abgebrochen wurde.

Das letzte Problem, welches sich dem Therapeuten stellt ist die Frage, "wann ist die Selbstanamnese abgeschlossen?" Die Antwort ist einfach und banal:

Der Abschluss ist erreicht, wenn Therapeut und Patient zu der Überzeugung gekommen sind, dass ein weiterer Durchlauf nichts wesentliches mehr zu Tage fördern würde. Die Entscheidung muss gemeinschaftlich gefällt werden.

Grundsätzlich muss aber gesagt werden, dass sicher etwas gründlich schief gelaufen ist, wenn diese Entscheidung schon nach einem Durchlauf zur Diskussion steht. Ursache dafür könnte sein, dass der Patient wenig Durchhaltevermögen hat und der Therapeut sich gleichzeitig von vorgefassten Meinungen über den Patienten nicht lösen konnte.

Meist wird sich im Gespräch nach dem dritten Durchlauf ergeben, dass die "begleitete" Reise zum ICH beendet werden kann, in seltenen Fällen war dieser Punkt schon nach zwei Durchläufen oder erst nach vier Durchläufen erreicht.

Als letztes möchte ich auf die Gefahr hinweisen, dass der Therapeut seinen Vergleich der jeweiligen beiden Lebensläufe nicht vergleichend und feststellend durchführt, sondern mit einem analytischen Denkansatz. Diese Gefahr besteht auch bei Patienten der Gruppe der Therapieprofis. Analytisches Denken kann nicht verboten werden. Der Therapeut muss aber erkennen, wenn er oder der Patient die Spielregeln der Selbstanamnese verlässt und in der Lage sein wieder dorthin zu führen.

Köln, 03.10.00
© Helma Katrin Alter


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